Lesson of the Evil (2012)

Ein umgedrehter Amoklauf

Eltern unterhalten sich über ihren 14-jährigen Sohn. Der Vater erkennt in ihm die Gefahr, die für andere ausgeht, die Mutter will sie nicht wahrhaben. Einhalt müsse dem Jungen geboten werden, meint der Vater. Doch dafür ist es längst zu spät. Der Knilch erscheint mit einem Messer. Was folgt, ist die erste Bluttat eines Psychopathen. So beginnt Takashi Miikes Lesson of the Evil, der zwei Jahre nach seinem japanischen Debüt auch hierzulande endlich erscheint.

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Hasumi ist ein Englisch-Lehrer, der von Schülern und Kollegen gemocht wird. Er ist ein scheinbar netter Kerl, aber er manipuliert die Menschen in seiner Umgebung – und das nicht zum ersten Mal. Auf seiner vorherigen Schule gab es eine Selbstmordserie. So mancher fragt sich, ob Hasumi etwas damit zu tun hatte. Aber das wahre Ausmaß dessen, was sich hinter der aalglatten Fassade verbirgt, hätte niemand erahnen können. Hasumi ist ein eiskalter Psychopath, ein Mörder, der ohne Motivation handelt, der um des Tötens Willen tötet, angetrieben von unbändigem Hass auf alles, was lebt.

Miike kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Er präsentiert einen kompromisslosen, bitterbösen Film, der den Zuschauer lange im Unklaren lässt, wie weit er wirklich gehen wird. Denn weit mehr als eine Stunde ist den kleinen Alltagsproblemen an einer Schule gewidmet, ist geprägt von der Normalität der Leben von Schülern und Lehrern. Nur langsam und unscheinbar schleicht sich das Böse ein, als man als Zuschauer zu erkennen beginnt, was sich hinter der Maske des gutherzigen Lehrers wirklich verbirgt.

An einer Psychologisierung seiner Hauptfigur ist Miike nicht interessiert, dies ist kein Patrick Bateman, wie er von Brett Easton Ellis in seinem Roman American Psycho so eiskalt analysiert wurde, sondern eine Naturgewalt, die, wie er es selbst ausdrückt, göttlichem Willen folgt. Das macht den Film unnahbar. Er will den Zuschauer in die Position Hasumis zwingen, aber gerade das lässt ihn so unangenehm werden. Denn wer möchte schon einen eiskalten Massenmörder als Identifikationsfigur?

So klinisch kalt die Hauptfigur ist, so überzogen zelebriert Miike den Reigen des Mordens, der in der letzten halben Stunde immer überbordender wird. In Neonlichtern verkleidet, unterlegt von launischer Jazz-Musik, schlachtet sich Hasumi durch die Schule. Das macht den Film angreifbar, könnte man ihm doch vorwerfen, er würde ein Schulmassaker glorifizieren, aber dieser umgekehrte Amoklauf, in dem nicht ein Schüler, sondern ein Lehrer mordet, ist in seiner sardonischen Darstellung so überzogen, dass man ihn nicht wirklich ernst nehmen kann.

Kühn ist auch das Ende, das nicht nur eine Schülerin, sondern auch den Zuschauer begreifen lässt, was das alles für Hasumi wirklich ist. Der Film findet seinen Abschluss, und hat doch den Mumm, in der Schwarzblende ein „Fortsetzung folgt“ einzublenden. Bislang ist es dazu nicht gekommen, sehen würde man das aber durchaus gerne.

(Peter Osteried)
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Bei Takeshi Miike hat man immer das Gefühl, dass er einfach so Filme macht und sich nicht darum schert, ob sie richtig gut werden, ob sie sich verkaufen oder vom Publikum gemocht werden. So kommt es auch, dass er mal geniale Filme, mal absolute Grottenheuler macht – ein Schwanken in der Qualität, das sich die meisten Regisseure nicht erlauben können. Sein letzter Film, das High-School-Musical For Love’s Sake war ein solcher Reinfall, ein furchtbar plumper und langweiliger Film.

Es ist also immer eine Frage des Glücks, wenn man den Kinosaal zu einem Miike-Film betritt: Wird es großartig und unterhaltsam oder schrecklich sein? Ein wenig bange wurde einem schon im Vorfeld, denn wie For Love´s Sake spielt auch Lesson of the Evil an einer High School. Andererseits ließ der gelungene Trailer einiges erwarten.

Die Geschichte des Films ist schnell erzählt. Der junge und beliebte Lehrer Seiji Hasumi (Hideaki Ito) hat eine große Narbe auf dem Rücken und hört mit Vorliebe die Songs von Mackie Messer aus der Dreigroschenoper in einer alten, deutschsprachigen Version. Die passende Begleitmusik für einen totalen Psychopathen, der gerade die einhundertprozentige Dezimierung seiner Schulklasse vorbereitet. Warum? Weil er kann. So bedient sich Hasumi der alten Taktik, zuerst die Starken und Intelligenten auszuschalten. Jeder Mord sieht aus wie ein Unfall oder ein Selbstmord, kaum jemand nimmt Notiz von dem Treiben. Und die, die es tun, sind bald verschwunden oder haben sich in der Tokioter U-Bahn „erhängt“. Lange begleitet man den Lehrer bei den Vorbereitungen, bis es dann im zweiten Drittel des Films zum Showdown kommt. Und hier zeigt Miike, was er am besten beherrscht – den Exzess.

Wer denkt, dass Takeshi Kitanos Battle Royale schon etwas zu viel war, sollte sich Lesson of the Evil besser nicht ansehen. Denn der Film ist vor allem ein Schlachtfest. Anfänglich noch von einer massiven Brutalität geprägt, wandelt der Film sich irgendwann schon fast in Slapstick. Die Massivität, das exzessive Morden, wird irgendwann so surreal und albern, dass man nicht umhin kommt zu lachen. Vor allem die Szenen, in denen Hasumi mit seiner Mega-Schrotflinte schießt, die die Opfer beim Einschuss gleich mal viele Meter weit schleudert und die den Schützen halbtaub macht, sind so übertrieben, dass man das Ganze als Persiflage sehen muss.

Als Persiflage aber auch als eindeutige Antwort auf die vielen kitschigen und vor Klischees nur so triefenden High School Filme, die vor allem in Japan häufig anzutreffen sind. Nicht dass andere Länder da besser wären, spätestens seit Glee hat ja auch in den USA die Schwemme wieder eingesetzt. So begibt sich Miike hier auf einen Mordstrip, der die ganzen stereotypen Charaktere einfach wegpustet: den Streber, den Halbstarken, die Schlampe – selbst vor den Lehrern macht er nicht halt. Egal ob der schlecht riechende Physiklehrer, der Mädchen unter den Rock schauende Sportlehrer oder der schwule Kunstlehrer – kein Pädagoge kommt hier so einfach ungeschoren davon. Alle müssen sterben einer Flutwelle von Maßlosigkeit, in gewisser Weise sogar die Protagonisten seines letzten Films For Love´s Sake, die ja ebenfalls das totale High School Klischee erfüllen.

Und hier wandelt es sich auch für den Zuschauer zu einem Genuss, einem Spaß an der Hyperbolik. Miike macht den Film zu einem unglaublich absurden und hochgradig unterhaltsamen Werk. Und ganz am Ende setzt der Meister der Maßlosigkeit noch einen drauf. Schon fast als Drohung kündigt der Film das an, was man kaum zu glauben wagt, nach dem gewaltigen Blutzoll von schätzungsweise 50 Opfern: „…to be continued“.

(Festivalkritik vom 42. Internationalen Filmfestival Rotterdam, Beatrice Behn)

Lesson of the Evil (2012)

Eltern unterhalten sich über ihren 14-jährigen Sohn. Der Vater erkennt in ihm die Gefahr, die für andere ausgeht, die Mutter will sie nicht wahrhaben. Einhalt müsse dem Jungen geboten werden, meint der Vater. Doch dafür ist es längst zu spät.

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