Im Augenblick der Angst

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Wenn Film Realität wird

„Während des Films, den Sie nun sehen, werden Sie sublimen Botschaften und einer milden Form von Hypnose ausgesetzt. Dies wird Ihnen keinerlei körperlichen oder bleibenden Schaden zufügen, aber wenn Sie aus irgendeinem Grund das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren, oder Sie glauben, dass Ihr Geist Ihren Körper verlässt, dann verlassen Sie sofort den Zuschauerraum.“
So warnt Im Augenblick der Angst den Zuschauer am Anfang – zumindest in der spanischen Originalfassung. Auf der Blu-ray-Disk ist diese als Easter Egg enthalten, im Extras-Menü vom Trailer aus den Cursor nach links bewegen und los geht’s. Die von der VHS-Veröffentlichung bekannte Fassung ist in HD enthalten und unterscheidet sich nur in Kleinigkeiten von der Langfassung.

John (Michael Lerner) wird von seiner herrschsüchtigen Mutter (Zelda Rubinstein) herumkommandiert. Er ist ein Wahnsinniger – und schlimmer noch: ein Killer. Seinen Opfern entfernt er die Augen. Das ist kein schöner Anblick, schon gar nicht für Patty (Talia Paul), die mit ihrer Freundin im Kino sitzt und sich den Film The Mommy (Regie: Anul Sagib) ansieht. Patty kann kaum ertragen, mitzuerleben, was John in dem Film macht. Sie will eigentlich das Kino verlasen, doch ihre Freundin will bleiben. Als sich Petty entscheidet zu gehen, ist es zu spät. Ein Wahnsinniger ist im Kino, der den Film Wirklichkeit werden lassen will.

Bigas Lunas Im Augenblick der Angst ist einer der faszinierendsten Horrorfilme aller Zeiten. Die Genese des Stoffes kam aus Lunas Überlegung, wie man eine Geschichte erzählen könnte, bei der ein Film im Film interaktiv mit der eigentlichen Geschichte verwoben wird. Tatsächlich geht Luna sogar noch weiter. Als er die Geschichte des Films im Film in einem Kinosaal ansiedelt, bedingt jedes Handlungselement einander. Als im Film im Film im Kinosaal Panik ausbricht, geschieht dies auch in der eigentlichen Handlung. Tatsächlich zieht Im Augenblick der Angst noch eine weitere Ebene auf, denn die Menschen im Film im Film sind im Kino und sehen den Stummfilm The Lost World. Als in dem Schwarzweißfilm Panik ausbricht, setzt sich dies wie eine Kaskade bis in die Realität fort.

Es wird immer wieder zwischen den Handlungen in den Kinosälen hin und her geschnitten. Aufmerksames Beobachten ist vonnöten, um nicht verwirrt zu werden, sondern zu erfassen, in welcher Handlungsebene man sich gerade befindet. Das wird zusehends schwieriger, was sich schön in der Szene verdeutlicht, in der der Filmvorführer des Films im Film die „realen“ Besucher warnt. Film und Realität verschmelzen miteinander, was mitunter desorientierend wirkt, aber auf jeden Fall einen hohen Grad an Aufmerksamkeit fordert – allein das hebt Im Augenblick der Angst schon deutlich von vielen anderen Genre-Vertretern ab.

In einer Metaebene setzt sich Im Augenblick der Angst mit der Frage auseinander, wie Filme auf labile Gemüter wirken können. Im Grunde könnte man sagen, er leistet jenen Hütern der Moral Vorschub, die Horrorfilme am liebsten verbieten würden. Aber tatsächlich zeigt er auf, dass dem Wahnsinn keine Grenzen geboten sind, sondern, dass er sich immer Bahn brechen wird. Das geschieht auf kunstvoll verschachtelte Art und Weise, immer wieder begleitet von halluzinatorischen Bildern, einer surrealen Stimmung und der eindringlichen Stimme von Zelda Rubinstein, die wie aus dem Nichts kommt.

Im Augenblick der Angst ist, was es im Horror-Genre viel zu selten gibt: Eine originelle, einzigartige Idee, die visuell prächtig umgesetzt ist, ein Horrorfilm, der unverdientermaßen recht obskur ist, ein narrativ brillantes Konstrukt. Kurz: Ein absoluter Mindfuck!

Im Augenblick der Angst

„Während des Films, den Sie nun sehen, werden Sie sublimen Botschaften und einer milden Form von Hypnose ausgesetzt. Dies wird Ihnen keinerlei körperlichen oder bleibenden Schaden zufügen, aber wenn Sie aus irgendeinem Grund das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren, oder Sie glauben, dass Ihr Geist Ihren Körper verlässt, dann verlassen Sie sofort den Zuschauerraum.“
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