Shocking Shorts 2012

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Kurzfilme auf die große Leinwand!

Auch wenn der Kurzfilm den Ursprung der Filmgeschichte darstellt und die berühmten französischen Brüder Lumière ihre ersten Filmvorführungen mit kleinen Werken von oftmals gerade einer Minute Länge bestritten, lässt sich diese überwiegend auf einen kleinen Zeitraum beschränkte Ausdrucksform filmischer Gestaltung heute nur noch selten im Kino finden, wo sie vor einer geraumen Weile zumindest noch regelmäßig als Vorfilm fungierte. Auch wenn es mittlerweile Kampagnen gibt, um den Kurzfilm als wichtigen und wunderbaren Bestandteil der cineastischen Kreativität wieder verstärkt auf der großen Leinwand zu präsentieren, fristet das knappe, komprimierte Kleinod des Kinos sein Dasein überwiegend im Rahmen von speziellen Festivals und Events, die gewöhnlich nur ein kleines Publikum erreichen.
Zu diesen Veranstaltungen zur Förderung von Kurzfilmen zählt seit nunmehr dreizehn Jahren die Verleihung des Shocking Shorts Award beim Filmfest München. Dieser Filmpreis des Pay-TV-Senders 13th Street Universal zeichnet Kurzfilme aus dem Bereich „Action, Krimi, Thriller, Mystery und Horror“ aus, und der siegreiche Regisseur darf am Filmmasters Program der Universal Studios in Los Angeles teilnehmen und eine Hollywood-Produktion aus nächster Nähe beschnuppern. In diesem Jahr gewann der Cutter Erwin Häcker mit seinem Beitrag Souterrain diesen Filmpreis für Höchstspannung in kurzer Zeit, der damit seinen ersten eigenen Film realisiert hat. Dieses und neun weitere ausgewählte Highlights aus dem Wettbewerb versammeln sich auf der DVD Shocking Shorts 2012, die mit so mancher aufwühlenden Geschichte aufwartet.

Mit Augenblicke von Martin Bargiel als doppelbödigem, geschickt konstruiertem Thriller der Spitzenklasse startet das kurzweilige Programm großartiger Kurzfilme, die nicht nur atemberaubend unterhalten, sondern einen beeindruckenden Einblick in das Schaffen einer neuen Generation von Filmemachern ermöglichen. Hier brilliert der Schauspieler Christian Preuss in der Hauptrolle als zunehmend verwirrter Hochhausbewohner auf schauerlich-schrullige Art, dessen triste Existenz eines Nachts auf eine Katastrophe zuläuft. Eine Un-Person mit hierzulande berühmtem Namen steht im Mittelpunkt von Der Fall Max Mustermann. Regisseur Achim Wendel, der für seinen ersten Kurzfilm Pizza Amore beim Landshuter Kurzfilmfestival 2006 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, entwirft hier das futuristische, bedrückende Szenario eines repressiven Überwachungsstaates.

Einen witzigen Einfall mit Horror-Hintergrund hat Marian Meidel mit Babyphone verfilmt. Mit der renommierten Schauspielerin Anna Thalbach in der Hauptrolle, die sich innerhalb der Kampagne „Kurz vor Film – Mehr Vorfilme ins Kino!“ für eine stärkere Präsenz der kurzen Knaller auf der großen Leinwand einsetzt, erzählt sie von einem Elternpaar, das ein ganz besonderes „Baby“ beherbergt. Auf ein seltsames Geschwisterpaar trifft der Schriftsteller Jan (Peter Nitzsche) in dem Beitrag Too Focused von Denis Zdjelar und Jan Friedrich, als er sich auf der Flucht vor einer Schreibblockade auf einem abgetakelten ländlichen Hof einquartiert, um hier auf Druck seines Verlegers endlich seinen verschleppten Roman zu schreiben. Während der grobschlächtige Karl (Thomas Kautenburger) ihn eher beängstigt, gefällt ihm dessen verschüchterte Schwester Anna (Micaela Bara) um so mehr …

Da treiben zwei Polizisten auf Luftmatratzen in der Idylle eines malerischen Waldsees, als sie vom Bürgermeister ihres Örtchens aufgeschreckt werden: Die geruhsame Stille soll künftig einem regen, lukrativen Tourismus weichen, was die beiden Gesetzeshüter allerdings durch eine konspirative, drastische Aktion zu verhindern versuchen. Die weiße Mücke von Marco Gadge stellt eine kleine, bitter-böse Komödie dar, die vor allem durch vielerlei witzige Einfälle und nicht zuletzt durch ihr famoses Finale besticht. Einem sehr ernsten Thema widmen sich Raúl Erdossy, Eric Foinquinos und Philippe Klose mit ihrem Kurzfilm Illegale, der die Geschichte der Mexikanerin Leyla (Alejandra Beltrán Cuevas) und ihres Sohnes Sami (Oliver Schmalz) erzählt, der auf der Flucht vor dubiosen Drogenbossen erkrankt und in einem deutschen Krankenhaus ganz erbärmlich ausgebeutet wird …

Mit derbem Zynismus und schockierendem Realismus prangern die drei Filmemacher hier ein ungeheuerliches Verbrechen an, das jährlich weltweit an einigen Tausenden Flüchtlingen begangen wird, die ohne gültige Papiere um eine würdige Existenz ringen. Ein gleichermaßen wichtiger wie beklemmender Film, der den Horror eines Lebens jenseits der Menschenrechte auf die Spitze treibt.

Der Gewinner des diesjährigen Shocking Shorts Award, der mit reichlich prominenten Gästen im Tivoli Wasserkraftwerk im Englischen Garten zelebriert wurde, erzählt die Geschichte eines Kleinkriminellen, der sich um die Sicherheit seiner attraktiven Nachbarin sorgt, bei der er einbricht, denn ein Serienkiller treibt sich in der Gegend herum. Souterrain von Erwin Häcker spielt auf filigrane Weise mit den Erwartungen der Zuschauer, die eine gehörige Überraschung erwartet …

Ein Taxi und sein Fahrer (Thom Nowotny) stehen im Mittelpunkt von Die Fahrt seines Lebens unter der Regie von Sascha Reimold, der einen flüchtigen Bankräuber (Christian Senger) notgedrungen vorübergehend zum Chauffeur werden lässt. Gelingt es diesem auch, mit dem entführten Taxifahrer im Kofferraum der Polizei zu entkommen, überwältigt ihn dieser am Ende, um selbst die Beute einzuheimsen – ein spannender Krimi mit pfiffiger Pointe. Von einer bedeutsamen Begegnung in einer Bar mit ungeahnten Folgen erzählt der Kurzfilm Nachtschwärmer von Daniel Stulgies und Michael Matuschek. Alina (Julia Kelz) und Felix (Tobias Licht) geraten in eine Unterhaltung, die rasch ihre harmlose Zufälligkeit verliert und in eine provokante Imagination der jungen Psychologiestudentin ausartet – Höchstspannung mit eindrucksvollen Farb- und Lichteffekten.

Herr Alptraum und die Segnungen des Fortschritts als einziger Animationsfilm innerhalb des Reigens der knackigen Kurzfilme von „Schwarwel“ Thomas Meitsch basiert auf dem gleichnamigen Bilderbuch von Christian von Aster mit den Illustrationen von Comiczeichner und Künstler Schwarwel. Die komplex-kompakte Kombination herrlich stilisierter Bilder mit den markanten, poetischen und vom Autor selbst gesprochenen Texten lädt zu einer satirischen kleinen Märchenstunde über das Filmemachen und die Liebe ein, deren atmosphärische Dichte mit ihrer äußerst ansprechenden Farbgestaltung bezaubert. Als Extra der DVD findet sich ein Bericht vom Shocking Shorts Award 2011, der gemäß des Prinzips einer ausgefallenen Location für dieses jährliche Event im Pathologischen Institut München stattfand – man darf gespannt sein, wo im nächsten Jahr gefeiert wird.

Shocking Shorts 2012

Auch wenn der Kurzfilm den Ursprung der Filmgeschichte darstellt und die berühmten französischen Brüder Lumière ihre ersten Filmvorführungen mit kleinen Werken von oftmals gerade einer Minute Länge bestritten, lässt sich diese überwiegend auf einen kleinen Zeitraum beschränkte Ausdrucksform filmischer Gestaltung heute nur noch selten im Kino finden, wo sie vor einer geraumen Weile zumindest noch regelmäßig als Vorfilm fungierte.
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