Miss Lovely (2012)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Demaskierung von "Horror-Pornos" und ihrer Branche

Im indischen Kino läuft offensichtlich ein Horrorfilm. Das Publikum murrt auf Grund einer Unterbrechung, doch als der räudige Gruselstreifen dann unverhohlen als Pornoproduktion fortgesetzt wird, löst sich der prompte Protest rasch in Wohlgefallen auf. Den eingeweihten Kinogästen dürfte es längst klar sein, dass der schlappe Anfangsfilm den scharfen zweiten lediglich an der Zensur vorbeischmuggeln sollte, denn pornographische Darstellungen sind in Indien verboten. So blüht stattdessen ein heimlich mit Sexszenen unterwandertes Horrorgenre, dessen subversiver Herstellung sich auch die ungleichen Brüder Sonu (Nawazuddin Siddiqui) und Vicky Duggal (Anil George) verschrieben haben.

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Allmählich verlangt es den hartgesottenen Vicky aber nach mehr Profit, weshalb er seinen recht sensiblen Bruder eines Tages nach Ajmer schickt, um dort eine pronographische Filmrolle direkt an ein Kino an einen einschlägigen Vertrieb zu verkaufen und damit die Provision an den mächtigen Händler Heera (Manoj Bakshi) einzusparen. Es ist Sonu, der die Geschichte von Miss Lovely mit einigem Bedauern im Rückblick erzählt, denn auf der Zugfahrt nach Ajmer begegnet er der schönen Pinky (Niharika Singh), die nicht nur sein tristes Leben, sondern auch seine Haltung zum Filmemachen nachhaltig verändert. Dass sie ihm aber nicht dauerhaft als Gefährtin erhalten bleibt, darin liegt seine große Tragik, die er allerdings am Ende des Films in kryptischer Melancholie als gebrochener Mann augenscheinlich zu überwinden vermag.

Ursprünglich vom Dokumentarfilmgenre kommend, hatte Regissseur Ashim Ahluwalia Miss Lovely auch als sachliche Darstellung über die getarnte Pornographiebranche in Indien geplant, war damit aber zuvorderst an der Weigerung der Protagonisten dieser verbrähmten Industrie gescheitert, vor der Kamera darüber Auskunft zu geben. So hat er die gesammelten Informationen und Charaktere in einen fiktiven Stoff übersetzt, der über Sonus Geschichte mit ihren kriminalistischen Aspekten hinaus auch eine deutliche Anklage der miserablen Lebensumstände jener Frauen enthält, die gezwungen sind, sich als billige Pornodarstellerinnen zu verdingen.

Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2012 in der Sektion Un Certain Regard aufgeführt und zweifach mit dem Silver Lotus der National Film Awards Indiens ausgezeichnet, steht Miss Lovely für eine dem Neorealismus nahe Form des indischen Kinos jenseits Bollywoods, die sich auch durch soziopolitische Positionierungen charakterisiert. Als eine Art Genremix verortet Ashim Ahluwalia sehr unterschiedliche Ansätze in seinem Film, der als eine Art Krimi beginnt, reichlich Semidokumentarismus enthält und neben seiner tragischen Liebesgeschichte auch das Filmemachen selbst thematisiert. Denn Sonu, der stille Held, will für seine Pinky, deren frühere Identität er lange nicht kennt, die Pornoproduktion hinter sich lassen und einen romantischen Spielfilm mit ihr als Star inszenieren. Dafür ist er bereit, sogar eine erhebliche Summe von seinem Bruder zu stehlen, von dessen Kaltschnäuzigkeit er sich ohnehin zu distanzieren beginnt. Diese Sehnsucht nach erzählendem, künstlerischem Kino erscheint hier sowohl exemplarisch für einen Akt der persönlichen Befreiung als auch für die mehr oder weniger verborgenen Tendenzen so manchen Filmemachers, sich vom gewinnträchtigen Schmuddel oder Mainstream zu emanzipieren, auch selbstreferetiell in Bezug auf den Regisseur.

Es ist eine ungewöhnliche und teilweise recht widersprüchliche Ästhetik zwischen bunten, prächtigen Bilder und düsterer Dichte, die in Miss Lovely zum Ausdruck kommt, und ebendiese Wirkungsmacht in zusätzlicher Kombination mit geradezu berichtenden Elementen verleiht dem Film eine satte Hybridität. Dabei ist der Fluss der Geschichte zwar reichlich von exkursiven und auch verweilenden Sequenzen durchwirkt, nicht aber unterbrochen, so dass eine tragende Einheit entsteht, die allerdings die Fiktion ein wenig relativiert. Wenn Sonu am Ende nach einem verletzten Rückzug in die Welt wiederkehrt, haben seine entschleunigten Bewegungen den Anschein einer finalen Abrechnung, die er nur als nunmehr freier Mensch jenseits der Konventionen vollziehen kann – ein starkes Sinnbild der Auflösung von Grenzen, das im Film mannigfach repräsentiert wird.
 

Miss Lovely (2012)

Im indischen Kino läuft offensichtlich ein Horrorfilm. Das Publikum murrt auf Grund einer Unterbrechung, doch als der räudige Gruselstreifen dann unverhohlen als Pornoproduktion fortgesetzt wird, löst sich der prompte Protest rasch in Wohlgefallen auf. Den eingeweihten Kinogästen dürfte es längst klar sein, dass der schlappe Anfangsfilm den scharfen zweiten lediglich an der Zensur vorbeischmuggeln sollte, denn pornographische Darstellungen sind in Indien verboten.

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