Waking Life (2001)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Tagträumereien und Kopfgeburten

Mehr als zehn Jahre ist es her, dass Richard Linklater (Slackers, Dazed & Confused, Before Sunrise und Before Sunset sowie Ich & Orson Welles) mit seinem gewagten Filmexperiment Waking Life Geschichte schrieb. Mit Hilfe des Rotoskopieverfahrens übersetzte der Regisseur Realfilm in animierte Bilder und schuf so einen Film, der sich deutlich von allem abhob, was man bislang auf der Leinwand zu sehen bekam. Und zwar sowohl formal als auch inhaltlich und dramaturgisch. Weil insgesamt rund 30 verschiedene Künstler an den Animationen beteiligt waren und diese jeweils ihre eigene grafische „Handschrift“ mit einbrachten, wechselt innerhalb des Film von Szene zu Szene der vorherrschende Stil, um so ein Höchstmaß an Verwirrung und Desorientierung zu schaffen. Unterstützt durch die episodische Struktur der Erzählung und ständig auftauchende neue Charaktere gelingt zumindest dieses „mission statement“ bravourös.

Mittlerweile sind animierte Spiel- und Dokumentarfilme für ein erwachsenes Publikum auch dank der Erfolge von Werken wie Persepolis und Waltz with Bashir zwar immer noch eine Seltenheit, doch so langsam erkennt man die Qualitäten und Möglichkeiten dieser Filme. Zu Beginn des neuen Jahrtausends war diese Entwicklung freilich noch in ihren Anfängen begriffen, was man Linklaters Experiment durchaus anmerkt.

Das Ergebnis ist auch heute noch eine echte Grenzerfahrung, die sich, wie Linklater bei der Premiere in Sundance anempfahl, wohl am besten unter dem Einfluss bewusstseinsverändernder Substanzen genießen bzw. ertragen lässt. Ganz egal, wie man dazu stehen mag: Mit einem einmaligen Sehen ist es in diesem Fall nicht getan, was selbst für manchen eingefleischten Linklater-Fan schon zu viel sein dürfte.

Eine Handlung gibt es natürlich auch, doch diese lässt sich allenfalls in Bruchstücken und ohne jede Garantie auf Richtigkeit, geschweige denn Plausibilität wiedergeben: Schon als Kind hatte die Hauptfigur einen Hang zum Schweben zwischen den Welten – und zwar ganz wörtlich. Daran ändert sich auch als Erwachsener nicht viel. Kaum in einer neuen Stadt angekommen, gerät der namenlose Hauptcharakter des Films in ein Amphibienfahrzeug mit unbekannter Richtung und anschließend in einen Unfall, der für jeden anderen tödlich enden würde – nicht aber für den Helden dieser merkwürdigen Geschichte, der durch die Stadt gleitet, immer neuen Menschen begegnet und dabei den Eindruck gewinnt, er befände sich in einem Traum, aus dem es kein Erwachen gibt – stattdessen eine endlose Aneinanderreihung von Begegnungen mit unbekannten Menschen und anderen, die ihm und uns seltsam vertraut vorkommen – so etwa dem Regisseur Steven Soderbergh, den beiden Protagonisten aus Before Sunrise und schließlich sogar Richard Linklater höchstselbst.

Keine Frage: Waking Life ist auch heute noch ein überaus anstrengender Film, der die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers erfordert, der anstrengt und (ja, das muss man wohl auch so deutlich sagen) mitunter auch gehörig nervt, dessen extrem artifizielle Bilder, die sich in ständiger Binnenbewegung befinden, zugleich faszinieren und befremden, und dessen fragmentarische, traumähnliche Struktur es schwer macht, sich in dem Film zu orientieren. Filme sind Träume – niemals wurde dies so deutlich wie in diesem verrückten, unerhörten, noch nie gesehenen Film, der es mit schwebender Leichtigkeit schafft, uns von der Realität in die Fiktionen der Träume und wieder zurück zu befördern, der uns langweilt, herausfordert, begeistert und der uns genau wegen all seiner offensichtlichen Ambivalenzen eine harte Nuss mit auf den Weg gibt, an der wir lange (vielleicht eine Ewigkeit) zu knacken haben – sofern wir uns auf dieses Experiment einlassen mögen.
 

Waking Life (2001)

Mehr als zehn Jahre ist es her, dass Richard Linklater („Slackers“, „Dazed & Confused“, „Before Sunrise“ und „Before Sunset“ sowie „Ich & Orson Welles“) mit seinem gewagten Filmexperiment „Waking Life“ Geschichte schrieb. Mit Hilfe des Rotoskopieverfahrens übersetzte der Regisseur Realfilm in animierte Bilder und schuf so einen Film, der sich deutlich von allem abhob, was man bis dahin auf der Leinwand zu sehen bekam.

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