Ende

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Der große Frust am Ende aller Zeiten

Am Ende von Lars von Triers Melancholia zieht Stille ins Universum ein. Mit dem Ersterben der Erde endet auch das Leben. Ein gleichmütiges, friedliches Universum besteht fort, keinen Deut schlechter als zuvor, nicht weniger prächtig, nur stärker in sich ruhend. In Jorge Torregrossas Ende ist die Erde auch am Verstummen, auf andere Art und Weise, aber mit nicht weniger Nachhall. Die Verfilmung des Romans von David Monteagudo ist ein metaphysischer Science-Fiction-Film, in dem das Wie weit wichtiger ist als das Warum.
Nach 20 Jahren treffen sich einige Freunde wieder. Früher waren sie unzertrennlich, aber nach einem Zwischenfall mit ihrem Freund Angel, den alle nur den Propheten nennen, zerbrach das Band zwischen ihnen. Nun sehen sie sich wieder. Anfangs ist alles wie früher, doch die Zeit kann niemand zurückdrehen. Spannungen brechen frei, es kommt zum Streit, bis ein Naturereignis, das jedwede Elektronik ausfallen lässt, die ehemaligen Freunde zum Handeln zwingt. Sie machen sich zu Fuß auf zur nächsten Stadt. Es ist eine Reise durch entvölkerte Landstriche, durch eine Welt, in der das Alleinsein die größte Bedrohung ist. Denn wenn niemand zusieht, wenn alles ruhig ist, wenn niemand etwas für einen empfindet, dann könnte man ebenso gut verschwinden.

Die Prämisse von Ende ist nicht neu, ähnliche Filme gab es schon einige, aber die Umsetzung ist es, die so bemerkenswert ist. Der Film spart sich eine Erklärung, selbst bloße Theorien der Protagonisten gibt es nicht. Die neue Weltordnung wird akzeptiert, weil man letztlich auch keine andere Wahl hat. Die Menschen verschwinden, keiner weiß, warum oder wen es als nächstes erwischen wird. Was bleibt da schon anderes übrig, als weiterzumachen, bis die eigene Zeit gekommen ist?

Der Film ist dabei clever genug, dem Zuschauer Interpretationsspielraum zu lassen. Mit der Figur des Propheten, der nicht von ungefähr diesen Namen trägt, wird man das Gefühl nicht los, als sei es göttliche Fügung, die hier zum Tragen kommt. Man könnte Ende auch dahingehend interpretieren, dass Gott seiner Schöpfung überdrüssig geworden ist, aber keine Sintflut schickt, sondern die Menschen nach und nach aus dem Spiel nimmt. Darum überleben die Tiere, darum hat man den Propheten, der seine Freunde ein letztes Mal versammelt. Nicht, um mit ihnen Frieden zu schließen, sondern weil er vorausgesehen hat, was passieren wird. Und weil er weiß, dass zwei der Menschen, die sich in den abgelegenen Bergen treffen, die neue Saat sein werden, aus der die Hoffnung auf eine bessere Menschheit erwächst.

Man kann, aber man muss dieser Lesart nicht folgen. Der Film ist offen genug, um nicht auf eine Möglichkeit festgenagelt zu werden. Das Ende ist gar dergestalt, dass nicht wirklich klar wird, ob überhaupt jemand zurückbleibt. Was Torregrossa hier als letztes Bild bietet, ist ein Abtauchen in den Nebel, das alles und nichts sein kann. Genau das ist aber auch die Stärke dieses exzellent gefilmten, wunderschöne Örtlichkeiten nutzenden Films, der eine merkwürdig losgelöste Stimmung besitzt. Er beginnt, als wäre dies lediglich die spanische Version von Der große Frust, nur um dann in das Territorium von Quiet Earth vorzudringen. Er präsentiert ein Mysterium ohne Antworten, was der eine oder andere Zuschauer als frustrierend empfinden mag. Aber eben diese Ambivalenz ist es, die den mit metaphysischen Themen spielenden Film zum Erfolg macht, da er keine Denkmuster vorgibt, sondern dem Zuschauer die Deutungshoheit über das Gesehene überlässt.

Ende

Am Ende von Lars von Triers „Melancholia“ zieht Stille ins Universum ein. Mit dem Ersterben der Erde endet auch das Leben. Ein gleichmütiges, friedliches Universum besteht fort, keinen Deut schlechter als zuvor, nicht weniger prächtig, nur stärker in sich ruhend. In Jorge Torregrossas „Ende“ ist die Erde auch am Verstummen, auf andere Art und Weise, aber mit nicht weniger Nachhall.
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