Rebellion

Eine Filmkritik von Monika Sandmann

Die Gesetze des Dschungels

Mitten im undurchsichtigen Grün-Braun eines Dschungels: Blut, Leichen, Soldaten, die rückwärts durch das Dickicht taumeln. Die Soldaten erschießen Menschen. Die erschossenen Menschen erheben sich wie von Geisterhand… Erst langsam wird klar, was hier passiert: In Zeitlupe, im Rückwärtsgang entwickelt sich das Geschehen vom blutigen Ende einer separatistischen Gruppe zurück zum Beginn des Gemetzels, als französische Soldaten sie überwältigen. Eine gewagte und mehr als gelungene Neu-Interpretation des klassischen Stilmittels der Rückblende, die direkt und unmittelbar in den Schrecken von Kriegsgräuel führt.
Mathieu Kassovitz, in der Funktion von Regisseur, Hauptdarsteller, Co-Autor, Co-Produzent und Co-Editor, macht Vieles richtig und nur Weniges falsch. Das Wenige aber macht aus einem genialen Film unter dem Strich lediglich einen ganz Guten.

Kassovitz erzählt von wahren Ereignissen im Jahr 1988 auf der französisch besetzten Inselgruppe Neukaledonien. Die nach Unabhängigkeit strebenden melanesischen Ureinwohner, die Kanaks, überfallen einen Polizeistützpunkt und nehmen 30 Geiseln. Verhandlungsspezialist Major Philippe Legorjus (Kassovitz) und seine Truppe werden eingeflogen, um die Krise zu lösen. Nach und nach gewinnt Legorjus das Vertrauen des Rebellenführers, Alphonse Dianou (Iabe Lapacas). Als sich die Stammesältesten auf Legorjus` Seite stellen, stimmen die Rebellen Verhandlungen zu. Doch die parallelen Wahlen zwischen Francois Mitterand und Jacques Chirac machen diese zunichte. Der amtierende Präsident Chirac will sich als stark und durchsetzungsfähig zeigen und fordert hartes Durchgreifen. Militär und Legorjus werden losgeschickt, die Ordnung wiederherzustellen. Legorjus aber steht bei den Kanaks im Wort für eine friedliche Lösung.

Der Originaltitel L´ordre et la morale macht seinen Gewissenskonflikt klar. Der deutsche und der internationale Titel Rebellion führt in die Irre. Denn eine Rebellion im Sinne großer Kampf- und Actionhandlungen gibt es nicht. Ein großer Teil des über zweistündigen Films beruht auf Gesprächen und Verhandlungen. Kassovitz‘ Dramaturgie orientiert sich am tatsächlichen Geschehen. Er spult das Protokoll realer Abläufe ab, eine Dauerschleife von Reden und Handeln, die zwangsläufig zur Ermüdung führt. Eine dramaturgische Verdichtung der Ereignisse hätte dem Film gutgetan.

Denn in seiner Bildsprache überwältigt Rebellion. Selten kam ein Kriegsfilm mit solch brachialer Wucht und so vielen bezwingenden Ideen daher: Allein das Fanal mitten im Urwald. Ein Geräusch breitet sich zu einem ohrenbetäubenden Donnern aus. Die Kanaks wissen nicht, was geschieht, sind zur Ohnmacht verdammt, während sich die hohen, mächtigen Baumwipfel drohend im Sturm wiegen. Der Untergang kündigt sich als unermessliche Naturgewalt an, bis sich ein Militärhubschrauber wie ein riesiges Insekt über den Wipfeln erhebt. Es ist der Beginn des blutigen Gemetzels. Beim Eintreffen von Legorjus‘ Truppe auf der Insel schweift der Blick über ein militärisches Großaufgebot, angetreten um eine kleine Rebellen-Truppe zu bezwingen. Ein Witz, den Kassovitz in ein unfassbares Bild überträgt. Im Dschungel herrscht dagegen ein undurchdringliches Chaos. Der einzelne Mensch gegen eine übermächtige Natur. Bilder gefühlter Angst vor dem Ungewissen im Dickicht des Dschungels. Die bloße Anzahl von Soldaten schrumpft zu kümmerlicher Makulatur.

Durch seine kluge Inszenierung gelingt es Kassovitz immer wieder, doppelte Böden zu ziehen. Während sich Major Legorjus von einem Augenzeugen den Überfall auf die Polizeistation schildern lässt, entfalten sich parallel Handlungsausschnitte vor den Augen der Männer. Es sind subjektive Ausschnitte dessen, was dem Zeugen in der Hektik der Ereignisse, im Trauma des Geschehens. im Gedächtnis blieb.

So großartig die Bilder so blass und fast schablonenhaft bleiben die Figuren. Empathie mag sich kaum einstellen. Kassovitz‘ großer Respekt für die realen Personen verhindert eine unbefangene Annäherung. Wie ein Mahnmal politischer Korrektheit wird der Rebellenführer für einen minutenlangen, formelhaften Monolog ins Bild gerückt. Legorjus, gezwungen die Kanaks zu verraten, will die Männer seiner Truppe, die als Faustpfand bei den Kanaks verharren, retten – eine Doppelmoral, die etwas Anrüchiges hat. Sein Kommentar am Ende, trotz allem das Richtige getan zu haben, bricht sich mit den Alptraumbildern des Massakers zu Beginn, die ihn zuhause schweißgebadet erwachen lassen.

Rebellion

Mitten im undurchsichtigen Grün-Braun eines Dschungels: Blut, Leichen, Soldaten, die rückwärts durch das Dickicht taumeln. Die Soldaten erschießen Menschen. Die erschossenen Menschen erheben sich wie von Geisterhand… Erst langsam wird klar, was hier passiert: In Zeitlupe, im Rückwärtsgang entwickelt sich das Geschehen vom blutigen Ende einer separatistischen Gruppe zurück zum Beginn des Gemetzels, als französische Soldaten sie überwältigen.
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