Die Enttäuschten

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Das grandiose Spielfilmdebüt des Claude Chabrol

Mit dem Bus kehrt der junge François Baillou (Jean-Claude Brialy) in sein Heimatdorf im Département Creuse zurück, um sich dort von seiner Tuberkulose-Erkrankung zu erholen. Er wird nicht bei seiner Mutter wohnen, die ihn bei seiner Ankunft erwartet, sondern mietet sich ein Zimmer bei der Wirtin Madame Chaunier (Jeanne Pérez) inklusive Verpflegung, denn der heruntergekommene Zustand seines Elternhauses ist offensichtlich nicht geeignet, um seine geschwächte Gesundheit zu beherbergen. Einige Jahre ist es her, seit François die ländliche Region verließ, um in der Stadt zu studieren, und nun erlebt der Heimkehrer das Wiedersehen mit der Umgebung seiner Kindheit und Jugend mit wuchtigen Ambivalenzen. Manche Menschen, die seinen Weg kreuzen, erkennt er sofort wieder, andere erinnern sich spontan an ihn, während seiner eigenen Erinnerung erst auf die Sprünge geholfen werden muss. Die Begegnung mit seinem einst engen Freund Serge (Gérard Blain), der gerade betrunken ist und nicht einmal auf seine Ansprache reagiert, berührt François zutiefst, und es wird das tragische Schicksal des schönen Serge sein, das ihn in der folgenden Zeit nicht mehr loslassen wird.
Das Spielfilmdebüt des französischen Filmemachers Claude Chabrol aus dem Jahre 1958 erzählt in schonungslos intensiver Weise die Geschichte einer Rückkehr, deren distanzierter Blick sich nach und nach zu einem nahezu verzweifelten Engagement auswächst, das den desillusionierten Heimkehrer in eine schwere Krise stürzt. Die Enttäuschten mit seinem avantgardistischen Stil, der den Bruch mit den damals herkömmlichen Sehgewohnheiten des kommerziell ausgerichteten Kinos ebenso deutlich wie meisterhaft markiert, gilt filmhistorisch als Beginn der revolutionären Nouvelle Vague. Von Kameramann Henri Decaë in gleichermaßen wunderschönen wie melancholisch-tristen Schwarzweißbildern in Szene gesetzt überzeugt dieses pessimistische Drama formal wie inhaltlich als gnadenloses Gleichnis einer trostlosen Dorfgemeinschaft, für deren Bewohner es kaum Hoffnung auf ein würdiges Leben gibt. Durch die Anwesenheit des Heimkehrers François sehen sie sich gezwungen, ihre sonst selbstverständlichen, eingefahrenen Lebensumstände zu rechtfertigen, was zuvorderst bei Serge und seiner Familie einmal mehr zum Ausbruch unterschwelliger Aggressionen führt. So sehr François auch bemüht ist, unterstützend in die unwegsamen Schicksale einzugreifen, katapultiert er sich doch mehr und mehr in die Rolle eines hilflosen Helfers hinein und erntet allenfalls abwehrenden Spott. „Armer François, immer auf der Suche nach einer guten Tat“, bemerkt Serge zynisch, und fokussiert damit die Position des im Grunde ebenfalls gescheiterten alten Freundes. Dass es letztlich keine Rettung gibt, sondern höchstens bei Zeiten punktuelle, minimale positive Veränderungen, erscheint als drastische Botschaft dieses schwermütigen Dramas voller existentieller Emotionalität, das mit der Geburt eines Kindes endet und damit die Unentrinnbarkeit des Kreislaufs von Leben und Tod jenseits der desolaten Gegebenheiten symbolisiert.

Die Enttäuschten, dessen deutscher Titel das Hauptthema des Films in treffender Weise fokussiert, wurde bei den Internationalen Filmfestspielen von Locarno uraufgeführt, dort mit dem Silbernen Segel prämiert und mit dem Prix Jean Vigo ausgezeichnet. Beim Auswahlkomitee von Cannes fiel der Film schlichtweg durch, und auch die weitere Rezeption dieser brisanten Geschichte um Fatalismus, sexuelle Gewalt und Alkoholismus gestaltete sich gegen Ende der 1950er Jahre durchaus durchwachsen, wodurch sich der damals junge Regisseur Claude Chabrol jedoch keineswegs davon abhalten ließ, künftig zahlreiche weitere bedeutsame Werke zu inszenieren, zumal der Zuspruch und die Zusammenarbeit mit seinen Weggefährten der Nouvelle Vague wie Jean-Luc Godard, Jacques Rivette und François Truffaut ihn einmal mehr darin bestärkten, das französische Kino grundlegend zu revolutionieren.

Die filigrane psychologische Ausgestaltung der komplizierten Beziehungen der Protagonisten untereinander, die atmosphärisch stimmige, tragende Filmmusik von Émile Delpierre, die eingängie Ästhetik der bewegten Bilder von Henri Decaë sowie der absolut authentisch anmutende Naturalismus der ländlichen Region lassen Die Enttäuschten zu einem zutiefst berührenden Filmkunstwerk geraten, dessen Intensität sich anregend verstörend ins Bewusstsein des Zuschauers gräbt.

Die Enttäuschten

Mit dem Bus kehrt der junge François Baillou (Jean-Claude Brialy) in sein Heimatdorf im Département Creuse zurück, um sich dort von seiner Tuberkulose-Erkrankung zu erholen. Er wird nicht bei seiner Mutter wohnen, die ihn bei seiner Ankunft erwartet, sondern mietet sich ein Zimmer bei der Wirtin Madame Chaunier (Jeanne Pérez) inklusive Verpflegung, denn der heruntergekommene Zustand seines Elternhauses ist offensichtlich nicht geeignet, um seine geschwächte Gesundheit zu beherbergen.
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