Lovely Molly

Eine Filmkritik von Lida Bach

Böses, liebes Mädchen

„Turteln ist eine Lust zwischen meiner Liebsten und mir… / Unten in jenem Tal gehört mein Herz ganz ihr, / Und bis zum hellen Tageslicht, blieb ich gern, liebste Molly, bei dir.“ Die Verse der melancholischen Ballade, deren Titel Eduardo Sanchez über sein freudianisches Horror-Kabinett setzt, gelten der verletzlichen Hauptfigur namens Molly (Gretchen Lodge). Doch warum blickt die zärtlich besungene Lovely Molly so verstört in die Kamera? Sie bleibt bei Molly und hört ihr zu, als sie schwört, sie habe nichts getan. Aber warum hält die liebliche Molly dann ein Messer an ihre Kehle? „Ich habe keine Kontrolle mehr“, keucht sie. Dann kommt der Schnitt.
Ihn führt die Hand des Regisseurs, der den auf Überwachungsfilm und Amateurvideo gebannten Alptraum noch einmal um 100 Filmminuten zurückspult. In ihnen versucht der Co-Autor von Blair Witch Project den an den Kultfilm geknüpften Erwartungen, die er mehrfach enttäuschte, endlich gerecht zu werden. Die Verwackelte-Handkamera-Spielchen, die er in seinem jüngsten Spukthriller mit dem Zuschauer spielt, sind mittlerweile konventionell und wirken, als habe Sanchez sich in den 14 Jahren seit seinem stilbildenden Debüt künstlerisch weiterentwickelt. Diesen Eindruck widerlegt sein passgenauer Streifen der Kategorie „Ich-bin-in-ein-Horrorhaus-gezogen-und-keiner-glaubt-mir“ kaum. Trotzdem lockt der grobkörnige Psychotrip mit seiner modrigen Farbpalette und dem Odor pervertierter Zuneigung genug Spannung für einen passablen DVD-Abend hervor. Die düstere Geschichte um verdrängte Familientraumata hallt bittersüß und gespenstisch nach, gleich der folkloristischen Titelmelodie.

„Molly, lovely Molly, deine Schönheit hat mich verletzt…“

Die liebliche Molly könnte ihren Ehemann Tim (Johnny Lewis) ganz anders verwunden, mit dem Schraubenzieher, den sie unter dem Bett findet. Oder den kleinen Sohn ihrer Schwester Hannah (Alexandra Holden) „vom Bauch bis zum Hals ausweiden“. Noch bevor sie es ausspricht verrät das ihr glasiger Blick, den ihr Umfeld einem Rückfall in die Drogensucht zuschreibt. Denn die labile Hauptfigur, deren unzuverlässige Perspektive den Plot bestimmt, und ihr frisch Angetrauter sind keines der schönen, abgesicherten, jungen Paare, die aus unerfindlichen Gründen in ein knarzendes Amityville-Double ziehen. Die Reinigungskraft und der Trucker kehren aus Geldnot zurück an den Ort aus Mollys und Hannahs Kindheit. Keine glückliche Zeit, die das übliche Sammelsurium morscher Spielgeräte und alter Fotos wachruft. Das Böse ist kein fremdes, sondern ein vertrautes Übel und beobachtet die Protagonistin von den Bildern aus in fast allen Räumen: Mollys Vater, der selbst nach dem Tod nicht von seiner Tochter lässt. In dem unheilschweren B-Movie gilt dies selbstverständlich nicht nur figürlich.

Geht nachts die Alarmanlage los, findet die Polizei erwartungsgemäß nichts. Vielleicht, weil die Beamten es von früher gewohnt sind, über gewisse Dinge in dem Haus hinwegzusehen. Während Tim auf einer Tour ist, erkundet Molly allein die Winkel, dabei kennt sie im Grunde längst deren Geheimnisse. Sie haben Molly in die Drogensucht getrieben und treiben sie nun schier in den Wahnsinn. Der Horror wächst aus einer anschwellenden Kulisse dämonischer Geräusche, die niemand außer Molly wahrnimmt. Verängstigtes Wimmern aus einem Schrank, Hufgetrampel wie von den Pferden auf den Bildern im Zimmer des Vaters und eine Männerstimme, die das Titellied singt, sind heimtückische Lockbotschaften. Doch Molly kann nicht weghören und will es womöglich nicht einmal, weil das Grauen ihr eine perverse Geborgenheit verspricht.

Wie das einerseits Kleinmädchen-Träume, andererseits gewaltsame Lust verkörpernde Symbol des Pferdes, das Sanchez hervorhebt, ist auch der uneindeutige Mix aus Geister- und Geisteshorror zwiespältig. Gemessen an Sanchez letzten Genrebeiträgen ein Qualitätsanstieg, der bedeuten möge, dass er sich nicht unwiederbringlich ins unterste DVD-Regal verirrt hat.

Lovely Molly

„Turteln ist eine Lust zwischen meiner Liebsten und mir… / Unten in jenem Tal gehört mein Herz ganz ihr, / Und bis zum hellen Tageslicht, blieb ich gern, liebste Molly, bei dir.“ Die Verse der melancholischen Ballade, deren Titel Eduardo Sanchez über sein freudianisches Horror-Kabinett setzt, gelten der verletzlichen Hauptfigur namens Molly (Gretchen Lodge). Doch warum blickt die zärtlich besungene „Lovely Molly“ so verstört in die Kamera?
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