Der Philosoph

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Halb zog sie ihn, halb sank er hin

Er lebt zurückgezogen in seiner kleinen Wohnung in Kreuzberg, wirkt ein wenig linkisch und schrullig und bekommt gerade per Post die Freiexemplare seines ersten Buches mit dem Titel Die Liebe zur Weisheit. Eine Anleitung zum Denken zugeschickt: Der promovierte Philosoph Georg Hermes (Johannes Herrschmann), der auf charmante Weise das Klischee eines weltfremden Wissenschaftlers verkörpert, hält den Augenblick für gekommen, sich bei einem noblen Herrenausstatter einen Anzug zuzulegen, um die anberaumte Lesung seiner Schrift würdig zu begehen. Einziger Kunde ist er im Geschäft, und wird von drei auffallend wohlwollenden Damen geradezu umsorgend bedient. Dass diese drei Grazien ihm mit Rücksicht auf sein schmales Budget einen famosen Anzug verpassen, dann gemeinsam zur Präsentation seines Buches erscheinen und ihn im Anschluss daran zu einem stilvollen Mahl in ihre komfortable Wohnung an der Spree laden, reißt den schüchternen Mann zunehmend in einen Strudel der Geselligkeit, des Begehrens und schließlich der Lust.
Zum Auftakt der hintersinnigen Komödie Der Philosoph des ebensolchen Filmemachers Rudolf Thome erleben wir Franziska (Adriana Altaras), Beate (Friederike Tiefenbacher) und Martha (Claudia Matschulla) am Morgen nach einer erotischen Nacht, wie sie gerade ihre jeweiligen Bettgefährten in unverbindlicher Eile verlassen. Doch bei Georg erscheinen die Drei äußerst hartnäckig und bindungswillig – und zwar als unverbrüchliche, untereinander neidlose Einheit. Rasch wird der zuvor asketische Denker bei ihnen einquartiert, hingebungsvoll verwöhnt und zunächst von Franziska verführt. Aber auch Beate und Martha haben mehr als ein Auge auf den zum sinnlichen Leben erwachenden Theoretiker geworfen, was Georg dann doch allzu suspekt ist, woraufhin er erst einmal den Rückzug antritt. Doch der einstige Eremit hat sich verändert, wirkt deplatziert in seinem kargen Pensionszimmer, wo er abgestiegen ist, und stört sogar, wie ihm ein ungehaltener Trompetenspieler (Marquard Bohm) unumwunden zu verstehen gibt, als Georg monologisierend Verständnis bei ihm sucht.

Sie seien Göttinnen, eröffnet Franziska dem verwirrten Georg, und er sei als passender Gefährte für alle Drei ausgewählt, ihm wollen sie sich konzentriert widmen in einer polyamourösen, harmonischen und dauerhaften Partnerschaft. Und Georg badet, schwimmt und tanzt sogar schließlich wie ein kauziger Erleuchteter, ergötzt sich zunehmend an den ebenso schlichten wie genüsslichen Freuden des süßen Daseins und konvertiert allmählich zum esoterisch anmutenden Lebemann. „Formen der Liebe“ hat Regisseur Rudolf Thome seine Trilogie genannt, die mit Das Mikroskop (1987) beginnt, mit Der Philosoph (1988) als Mittelstück fortgesetzt und von Sieben Frauen (1989) beschlossen wird. Marquard Bohm mit seinem Auftritt als Trompeter, aber vor allem die autarken, starken Frauencharaktere in Der Philosoph stellen eine Reminiszenz zu seinem skurrilen Film Rote Sonne von 1969 dar, in dem Rudolf Thome eine mörderische Wohngemeinschaft porträtiert. Brachten jene Damen ihre flüchtigen Liebhaber schlichtweg um, vergöttern diese ihren Auserwählten geradezu und streben nach einer symbiotischen Bindung.

In einigen Sequenzen wirkt Der Philosoph einem größenwahnsinnigen, gefälligen Männertraum gleich, der obsolete Haremsphantasien rehabilitiert, auch wenn die femininen Figuren sich durch unabhängiges, kräftiges Selbstvertrauen und strategische (Ver-)Führungsqualitäten auszeichnen. Dann wieder steht der Befreiungsaspekt der unterdrückten, zögerlichen Männlichkeit im Fokus, der liebevoll und sanft gefördert und ermächtigt wird, um auch und letztlich das weibliche Bedürfnis nach geteilter Hingabe zu befriedigen. Wenn der naturalistisch-nackte Georg an Strand und Wasser mit Franziska tobt, und vor allem wenn er mit allen drei Frauen am Ende einen kultisch anmutenden Tanz vollführt, gesellen sich quasi-religiöse Komponenten in die Komödie, die ebenso mit den Elementen Wasser und Feuer als atmosphärische Signifikanzen spielt. Schräg und mindestens ein wenig mystisch wie charakteristisch für Rudolf Thome erscheint Der Philosoph allemal, dessen unaufdringliche, filigran installierte Details den Zuschauer bei Zeiten nicht nur humoristisch berühren.

Der Philosoph

Er lebt zurückgezogen in seiner kleinen Wohnung in Kreuzberg, wirkt ein wenig linkisch und schrullig und bekommt gerade per Post die Freiexemplare seines ersten Buches mit dem Titel „Die Liebe zur Weisheit. Eine Anleitung zum Denken“ zugeschickt: Der promovierte Philosoph Georg Hermes (Johannes Herrschmann), der auf charmante Weise das Klischee eines weltfremden Wissenschaftlers verkörpert, hält den Augenblick für gekommen, sich bei einem noblen Herrenausstatter einen Anzug zuzulegen, um die anberaumte Lesung seiner Schrift würdig zu begehen
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