Das Hotel New Hampshire

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Manchmal sind es vor allem die dramaturgischen Wendungen, die einen Film tragen, oder aber eher die markanten Figuren, doch bei dieser Tragikomödie von Tony Richardson aus dem Jahre 1984 treffen diese beiden Aspekte geradezu explosionsartig zusammen. Ein ganzes Ensemble voll prägnanter, schräger Charaktere agiert innerhalb dieser dynamischen, mitunter geradezu grotesken Geschichte, die aus der Feder des US-amerikanischen Autors John Irving stammt, der berühmt für die Skurrilität seiner Romane ist und selbst aus dem den Titel stiftenden New Hampshire stammt.
Ausgerechnet Freud (Wallace Shawn) wird der verrückte Wiener genannt, der in dem jungen Liebespaar Win Berry (Beau Bridges) und Mary Bates (Lisa Banes) das Potential für einen Bund fürs Leben sieht. In einem luxuriösen Hotel begegnen sich die Protagonisten, wo der Student Win sich Geld für die Universität verdient, Mary als Zimmermädchen jobbt und Freud mit seinem Bären als chaotischer Alleinunterhalter auftritt. Am Ende des turbulenten Sommers verabschiedet sich Freud und der Bär verbleibt bei Win und Mary, die tatsächlich heiraten. Während Mary fünf Kinder zur Welt bringt, studiert Win in Havard, doch schließlich bezieht die Familie eine ehemalige Schule und eröffnet darin das „Hotel New Hampshire“, in dem John (Rob Lowe), Franny (Jodie Foster), Frank (Paul McCrane), Lilly (Jennifer Dundas) und der Jüngste, Egg (Seth Green), aufwachsen, und zwar zu außergewöhnlichen Persönlichkeiten, die ebensolche Beziehungen untereinander entwickeln …

Literaturverfilmungen, und ganz besonders solche von derart emotionalen, dichten Geschichten wie dieser, sind sicherlich gewagte Unternehmen, die einer peniblen Kritik der Fangemeinde des Romans ausgesetzt sind. Doch Regisseur und Drehbuchautor Tony Richardson ist es mit einem unsagbar intensiv aufspielenden, jungen Ensemble gelungen, ein abgefahrenes, bewegendes Stück zu inszenieren, das zwar nur einen Ausschnitt aus der komplexen Geschichte John Irvings darstellt, aber einiges ihrer drastischen Stimmungen und Ereignisse auf seine ganz eigene Weise äußerst gelungen visualisiert.

Das Hotel New Hampshire erscheint zwar gerade für Kenner des Buchs mitunter recht fragmentarisch, doch korrespondiert diese Struktur wiederum mit der inhaltlichen Zerrissenheit der Figuren und dem Rausch der Begebenheiten, die sich oftmals überschlagen, um dann wieder in unbequemer Enge zu verharren. Thematisch katastrophenhaft dicht und doch mit erstaunlicher Entwicklungsenergie ausgestattet, vermag es dieser Film, in einem psychologisierten Rundumschlag gleichermaßen beunruhigend das Grauen und die Schönheit des Heranwachsens zu transportieren, und zwar ohne Scheu vor dieser existentiellen Ambivalenz.

Das Hotel New Hampshire

Manchmal sind es vor allem die dramaturgischen Wendungen, die einen Film tragen, oder aber eher die markanten Figuren, doch bei dieser Tragikomödie von Tony Richardson aus dem Jahre 1984 treffen diese beiden Aspekte geradezu explosionsartig zusammen.
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Meinungen

Martin Zopick · 11.09.2020

Das ist John Irvings frechster Roman und Tony Richardson hat ihn kongenial verfilmt. Der abgefahrener Berry Clan lässt die Kuh echt fliegen. Gemäß dem Titel arbeiten alle im Hotelgewerbe, wobei es temporeich zur Sache geht. Ohne gradlinigen Fahrplan geht es um Liebe, Sex und Tod und das mit einer umwerfenden Verve. Erst gegen Ende lahmt der Plot etwas. Inzest (Rob Lowe und Jodie Foster) wird angedeutet, aber es ist nichts für Voyeure. Außerdem gibt’s ‘ne Vergewaltigung, einen Selbstmord und das Coming Out eines Homosexuellen, einen Flugzeugabsturz und …na ja der Clan verwaltet mehrmals Hotels überall auf der Welt. Ein kleinwüchsiger Zwerg bringt Geld in die Familienkasse und Tote spielen Jesus, will sagen sie stehen wieder auf.
Als Nastassja Kinski das Bärenfell trägt, wird’s etwas fader. Der groteske Dreisprung will nicht so recht hinhauen. Aber sonst eine Mordsgaudi und ein Paradebeispiel für die durchgeknallten 80er in Form eines Kaleidoskops gehalten.