A Lonely Place to Die

Eine Filmkritik von Lida Bach

Eine leichtsinnige Kameraeinstellung provoziert den Fall. Der Halt ist durch die ungünstige Aufnahme plötzlich verloren. Das Szenario schwebt über dem Abgrund, doch es fängt sich im letzten Moment. Fast ginge es für die Charaktere steil bergab – nicht nur auf dramaturgischem Level. Dann wäre A Lonely Place to Die ein sehr kurzer Film gewesen. Julian Gilbeys rauen Gebirgsthriller eröffnet ein doppelter Cliffhanger, der mit den fünf Protagonisten in die Tiefe blickt. Der gähnende Abgrund ist eine Allegorie für die menschlichen Abgründe, die sich unvermittelt vor ihnen auftun.
Unbarmherziger als die Landschaft sind die Feinde, die dort auf die erfahrene Bergsteigerin Alison (Melissa George), ihre Begleiter Rob (Alec Newman) und Ed (Ed Speelers) und das Touristenpärchen Alex (Garry Sweeney) und Jenny (Kate Magowan) warten. Die Bergsteigergruppe hat etwas gefunden, dass sie sorgfältig versteckt hatten und ihre Verfolgern kennen keine Skrupel. A Lonely Place to Die ist das Erdloch, in dem die Bergsteiger-Crew die kleine Anna (Holly Boyd) entdeckt. Das serbisch sprechende Mädchen wollen ihre Entführer um jeden Preis zurück bekommen. Der Abstieg in den nächsten Ort wird für Alison und die anderen zum zweifachen Überlebenskampf. In der Wildnis hört dich niemand schreien und das schottische Hochland droht zu werden, was der Titel beschwört: „A lonely place to die“.

Die Eingangsszene ist mehr als eine dramaturgische Finte, um die die Aufmerksamkeit von der ersten Minute an zu fesseln. Die nervliche Anspannung scheint Gilbey, der sich für das Projekt selbst zum Bergsteiger wurde, nahezu physisch mit seinen Figuren zu teilen. Ein unachtsamer Moment zu viel kann für beide fatale Folgen haben. Das Publikum verliert das Interesse, die Charaktere das Leben. Indirekt verweist die Eröffnungssequenz auf das zentrale Motiv der vertikalen Verfolgungsjagd: Präzision. Anspannung ist für die Figuren und den britischen Regisseur gleichermaßen essentiell. Das alles entscheidende Kriterium für die Bergsteiger und ihre Kontrahenten ist Genauigkeit, sowohl auf strategischer wie auch auf physischer Ebene.

Ein unachtsamer Moment oder falscher Schritt kann über Leben und Tod entscheiden. Darin gleicht die Situation der Entführer jener der Hauptfiguren. Weil sie das Versteck nicht sorgfältig genug wählten, wird es entdeckt, weil sie nicht aufmerksam genug reagierten, wird ihr Opfer befreit. Jedes mal, wenn sie nicht exakt genug zielen, entzieht sich die Gruppe mehr ihrer Reichweite. Die jungen Sportler kämpfen gegen zwei Antagonisten, einer passiv, der andere aktiv. Gegenüber der Skrupellosigkeit der Verfolger erscheint die Wildnis zuerst beinahe friedfertig. Doch auch sie hält unter ihrer Ehrfurcht gebietenden Schönheit eine feindselige Seite verborgen, die mit Steinschlag und Eiswasser den Charakteren plagt. Die Unerbittlichkeit der Natur ist der eigentliche Schrecken des cineastischen Balanceakts zwischen Landschaftskrimi und Psychothriller, der das klassische Angstszenario der Einkesselung beschwört. Die Entführer sind die Skylla zur Charybdis der Wildnis, die menschlich-monströse Verkörperung eines naturalistischen Grauens.

Der Horror in A Lonely Place to Die ist die Furcht vor Isolation und Auslieferung in schutzlosem Terrain. Forsch und überlegt geht die Kamera auf der gefahrvollen Exkursion vor. Die beeindruckenden Aufnahmen offenbaren die urwüchsige Bedrohung der Natur, die die Protagonisten zur Rückbesinnung auf ihre Instinkte treibt. Während der Dreharbeiten entdeckte Gilbey selbst das Bergsteigen und seine Faszination für die Landschaft bezeugen die bestechend authentisch Aufnahmen genauso wie die flachen Protagonisten. Psychologisch bleiben besonders die Schurken undifferenziert bis zur Eindimensionalität. Sie sind weniger eigenständige Charaktere als Symbole der Unbarmherzigkeit, die A Lonely Place to Die als Kern von allem Natürlichem und somit indirekt allem Menschlichen enthüllt. Das Dorf, das die Gruppe erreichen muss, feiert Beltane, ein keltisches Übergangsfest, dessen Riten die Durchlässigkeit der vermeintlich sicheren Zivilisation für blutige Rituale implizieren. Der kühle Natur-Thriller mündet in die bizarre symbolische Verschmelzung von Mensch und Wildnis, in dem wer nicht Jäger ist, zur Beute wird.

A Lonely Place to Die

Eine leichtsinnige Kameraeinstellung provoziert den Fall. Der Halt ist durch die ungünstige Aufnahme plötzlich verloren. Das Szenario schwebt über dem Abgrund, doch es fängt sich im letzten Moment. Fast ginge es für die Charaktere steil bergab – nicht nur auf dramaturgischem Level.
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