Flucht nach Varennes

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein Geniestreich vor historischem Hintergrund

Paris im Jahre 1791: In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni verlässt der französische König Ludwig XVI. gemeinsam mit der Königin Marie Antoinette und seiner Familie den Tuilerienpalast mit einer feudalen Kutsche in Richtung Metz, um der Bedrohung der fortschreitenden Revolution im Lande zu entfliehen. Der in finanzielle Nöte geratene Schriftsteller Rétif de la Bretonne (Jean-Louis Barrault) bekommt Wind von der brisanten Angelegenheit und beschließt, den geheimen Umtrieben auf der Spur zu bleiben. Während der legendären, historisch authentischen Flucht des Königs, die später von der Nationalversammlung als Entführung deklariert werden wird und im kleinen Ort Varennes in Lothringen endete, formiert sich in Paris derweil eine weitere illustre Reisegesellschaft in dieselbe Richtung: Neben dem Rétif de la Bretonne, der die Kutsche nach ihrer Abreise erst verzögert erreichen wird, ist dessen Freund, der amerikanische Politiker Thomas Paine (Harvey Keitel) mit von der Partie, die Comtesse de la Borde (Hanna Schygulla) mit Zofe und Friseur, eine italienische Opernsängerin (Laura Betti) mit ihrem vermögenden Geliebten, ein revolutionärer Student (Pierre Malet) sowie eine reiche Witwe, und schließlich wird sich noch der berühmt-berüchtigte Giacomo Casanova (Marcello Mastroianni) unterwegs hinzugesellen.
Ein Roadmovie ganz besonderer Art stellt dieses Geschichts-Drama des italienischen Regisseurs Ettore Scola dar, der Flucht nach Varennes in einem Interview, das als Bonus auf der DVD zu finden ist, als „historische“ Talkshow bezeichnet hat. Dem sorgfältig ausgestatteten und mit seiner Vielzahl an bedeutsamen Charakteren souverän wie unterhaltsam gestalteten Film, der 1982 im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes uraufgeführt wurde, gelingt es ganz hervorragend, durch seine unterschiedlichen Figuren eine differenzierte Spannbreite an Haltungen und Stimmungen zur Zeit der französischen Revolution prägnant einzufangen. Die ansprechenden Diskurse auf dem Territorium der Politik, Philosophie, Literatur und Erotik, die in der Kutsche oder an Rastplätzen geführt werden, bereiten nicht zuletzt auf Grund der Spielfreude des schlichtweg grandiosen Ensembles ein enormes intellektuelles Vergnügen, das durch den mitunter schalkhaft-ironischen Unterton der Gespräche keineswegs an Heiterkeit entbehrt.

Die Idee, historische Persönlichkeiten sowie grundlegende sozialpolitische Tendenzen jener Zeiten im Rahmen einer ausführlichen Kutschfahrt vereint darzustellen, ist hier von Ettore Scola, der gemeinsam mit Sergio Amidei das mit dem Premio David di Donatello ausgezeichnete Drehbuch verfasste, stimmig und äußerst gelungen umgesetzt worden. Auch für das Beste Kostümdesign von Gabriella Pesucci und das Beste Produktionsdesign von Dante Ferretti wurde der renommierte italienische Filmpreis vergeben, und in der Tat gestaltet sich die ästhetische Komponente dieses bei einer Länge von 145 Minuten hierzulande erstmals ungeschnitten erscheinenden Geniestreiches mit seinen schönen, klaren Bildern und seiner höfisch anmutenden Musik von Armando Trovajoli so anspruchsvoll wie kurzweilig.

Flucht nach Varennes

Paris im Jahre 1791: In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni verlässt der französische König Ludwig XVI. gemeinsam mit der Königin Marie Antoinette und seiner Familie den Tuilerienpalast mit einer feudalen Kutsche in Richtung Metz, um der Bedrohung der fortschreitenden Revolution im Lande zu entfliehen.
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