Arrebato

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Kino frisst seine Kinder

Das Kino frisst seine Kinder. Unter diesem Motto scheint das Leben des Filmemachers José (Eusebio Poncela) zu stehen, der sich als Regisseur billiger Horrorstreifen regelmäßig verausgabt und der dennoch nie zufrieden ist mit dem, was er zustande bekommt. Als er eines Tages nach einem anstrengenden Tag im Schneideraum nachhause kommt, findet er dort nicht nur seine vollkommen zugedröhnte Geliebte Ana (Cecilia Roth) vor, sondern bekommt vom Hausmeister auch ein geheimnisvolles Paket überreicht, in dem sich eine Filmrolle und eine Audiocassette befindet. Der Inhalt des Pakets entpuppt sich als Botschaft des Regisseurs Pedro (Will More), den José vor einigen Jahren kennengelernt hat. Im verschwörerischen Flüsterton legt der offenbar zutiefst verzweifelte und am Rande des Wahnsinns stehende Pedro eine Art künstlerische Beichte seiner Suche nach dem perfekten Film ab, die in seit Jahren beschäftigt. Ausgelöst durch Pedros Botschaft folgt José dem früheren Freund in sein wahnhaftes Leben und weiß bald ebenso wie jener nicht mehr zwischen Film und Leben zu unterscheiden…
Besser spät als nie: Da stößt man mit einiger Verzögerung auf eine echte Perle in der Flut der DVD-Releases und anstatt sich über den Fund zu freuen, ärgert man sich darüber, beinahe das Beste verpasst zu haben. Im Falle von Ivàn Zuluetas wildem und faszinieredem Underground-Werk Arrebato aus dem Jahr 1979 hält die Verärgerung aber nicht lange an, sondern wird ziemlich schnell von der Begeisterung über ein Werk verdrängt, das bislang in Deutschland ebenso wie der Name seines Schöpfers nur absoluten Experten ein Begriff gewesen sein dürfte.

Iván Zulueta gilt als zentrale Figur der „Movida Madrileña“, die in den ersten Jahren nach dem Ende der Franquistischen Diktatur in Spanien entstand und in einem wahren Rausch die lange so schmerzlich vermissten Freiheiten bis ins Letzte auskostete. Der 1943 in San Sebastian geborene Filmemacher hatte Mitte der 1960er Jahre durch eine Handvoll experimenteller Kurzfilme auf sich aufmerksam gemacht und galt in seiner Heimat als einer der hoffnungsvollsten Regisseure des jungen spanischen Kinos. Doch seine Karriere kam erst mit dem Ende der Diktatur des Generalissimo Franco so richtig in Schwung – ab 1975 entstanden Filme wie Mi ego esta en babia (1975), A mal gam a, El mensaje es facial und Leo es pardo (alle 1976). Die plötzliche Freiheit des spanischen Kulturszene gipfelte für Zulueta schließlich in Arrebato, der allerdings binnen kurzer Zeit wieder aus den Kinos des Landes verschwunden war, um den sich aber bald eine nahezu mysteriöser Ruf rankte. Der, so darf man vermuten, wurden unter anderem auch dadurch gespeist, dass der Film Zuluetas letzter sein sollte. Ähnlich wie einer der beiden Protagonisten seines „opus magnum“ erlitt auch Zulueta eine Reihe körperlicher Zusammenbrüche, wurde heroinabhängig und zog sich in seine Heimatstadt San Sebastian zurück, wo er unter anderem Plakatentwürfe für einige Filme seines Freundes Pedro Almodòvars anfertigte und in den späten 1980ern und frühen 1990ern ein kurzes Comeback als TV-Regisseur feierte, bevor es abermals still um ihn wurde.

Erst mit der Zeit wurde die Bedeutung Zuluetas als Filmemacher, Fotograf und Plakatdesigner deutlich, zu Beginn des neuen Jahrtausends folgten Ausstellungen und Wiederaufführungen seiner Filme und schließlich die spanische Veröffentlichung des beinahe vergessenen, nahezu unbekannten Kultfilms Arrebato auf DVD. Als bekannt wurde, dass Ivàn Zulueta, der mit vollständigem bürgerlichen Namen Juan Ricardo Miguel Zulueta Vergarajauregui hieß, am 30. Dezember 2009 verstorben war, war dies außerhalb Spaniens allenfalls eine Randnotiz – doch gerade die nun vorliegende Veröffentlichung von Arrebato zeigt, dass Zulueta ein zu Unrecht in Vergessenheit geratener Filmemacher ist. Es wäre an der Zeit, nicht nur in Spanien vergessene Avantgardisten wie Zulueta eine späte Würdigung erfahren zu lassen. Ohne ihr Wirken wäre der beachtliche Aufstieg der Filmnation Spanien und von Regisseuren wie Pedro Almodóvar gar nicht erst möglich gewesen. Durch ihren Einfluss und ihre Fortführung des surrealistischen Erbes eines Luis Buñuel hat sich das Land in den letzten Jahren überhaupt erst zu einer der besten europäischen Adresse für erstklassige Horror- und Fantasyfilme entwickelt. Die Ernte dieser Saat wird erst heute eingefahren.

Verborgene Perlen des Underground-Kino gibt es wahrhaft viele und nicht alles, was mit dem Label „Kult“ versehen wurde, rechtfertigt aus heutiger Sicht eine Neuveröffentlichung. Iván Zuluetas Film Arrebato aus dem Jahre 1979 aber ist einer jener Glücksgriffe, durch die sich der mittlerweile allerbeste Ruf des engagierten DVD-Labels Bildstörung begründet. In der Drop-out-Reihe von Bildstörung, deren neunte Veröffentlichung Arrebato ist, entsteht eine Art Bibliothek des verstörenden und abseitigen Kinos, die man sonst in Deutschland vergebens sucht. Die nächsten beiden Titel der Reihe sind bereits erschienen bzw. harren der Veröffentlichung. Und wenn man die bisherigen technische Qualität und Ausstattung sowie das feine Händchen der Label-Macher als Maßstab für Kommendes heranzieht, kann man die Releases von Bildstörung blind kaufen und sich jedes Mal aufs Neue über echte Entdeckungen jenseits des Mainstreams freuen. Weiter so, bitte! Und zwar möglichst bald!

Arrebato

Das Kino frisst seine Kinder. Unter diesem Motto scheint das Leben des Filmemachers José (Eusebio Poncela) zu stehen, der sich als Regisseur billiger Horrorstreifen regelmäßig verausgabt und der dennoch nie zufrieden ist mit dem, was er zustande bekommt.
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