Hitze und Staub

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Eine tragische Romanze in Indien und ihre Folgen

Als die junge, aparte Britin Olivia (Greta Scacchi) ihrem frisch angetrauten Gatten Douglas (Christopher Cazenove) in den 1920er Jahren nach Indien folgt, wo dieser als Kolonialbeamter des British Empire im Einsatz ist, verändert sich ihr Leben schlagartig. Eingebunden in die starren Konventionen der dort lebenden britischen Kolonialgesellschaft fällt es der aufgeschlossenen Schönheit nicht leicht, sich in den Bahnen und Kreisen ihrer frischen Ehe zurechtzufinden, zumal sie ein geradezu unübliches Interesse an der indischen Kultur zeigt. Halb im Verborgenen freundet sie sich mit dem gestrandeten Lebemann Harry Hamilton-Paul (Nickolas Grace) an, der sich bevorzugt im Dunstkreis des Palastes und Fürsten von Khatm (Shashi Kapoor) bewegt. Allmählich bahnt sich auch zwischen Olivia und dem Fürsten eine zugeneigte Verbindung an, die in eine Liebesaffäre mündet. Als sie schwanger wird, freuen sich zwar sowohl ihr Mann Douglas als auch der Fürst über diese Nachricht, jeder für sich überzeugt, der Vater des Kindes zu sein, doch Olivia weigert sich unter diesen Umständen, das Kind auszutragen und lässt insgeheim eine Abtreibung durchführen …
Während Hitze und Staub in Rückblicken diese tragische Geschichte der jungen Frau erzählt, macht sich Anne (Julie Christie), eine Journalistin in den mittleren Jahren, nach Satipur auf, um den Spuren der damaligen Ereignisse um ihre verstorbene Großtante Olivia zu folgen, dessen letztlich einsames Schicksal sie zutiefst berührt. Zuvor interviewt sie deren längst nach Großbritannien zurückgekehrten einstigen Freund Harry Hamilton-Paul, und es sind diese drei Zeitebenen, auf denen sich die Dramaturgie des Films ereignet: Die Geschehnisse der 1920er Jahre in Indien, Annes Reise Anfang der 1980er Jahre sowie die Gespräche mit dem alten Herrn, dessen Erinnerungen im fiktiven Stil der Rückblenden inszeniert sind. Dabei kristallisiert sich zunehmend heraus, wie sehr sich Anne mit den Geschicken ihrer Ahnin identifiziert, was entscheidenden Einfluss auf ihr künftiges Leben haben wird.

Das geradezu legendäre Filmteam mit dem Produzenten Ismail Merchant, dem Regisseur James Iyory und der Autorin Ruth Prawer Jhabvala, die das Drehbuch nach ihrem gleichnamigen Roman verfasste, hat mit Hitze und Staub ein opulentes Werk inszeniert, das durchaus kritische Ansätze zeigt, sich mit den Strukturen des Kolonialismus und seinen Nachfolgezeiten auseinander zu setzen. 1983 in Cannes für die Goldene Palme nominiert, 1984 mit einem BAFTA Award für das Beste Drehbuch sowie dem Preis des London Critics Circle ebenfalls für Ruth Prawer Jhabvala als Drehbuchautorin des Jahres prämiert erscheint der Film nun erstmals in Deutschland auf DVD, mit interessantem Begleitmaterial ausgestattet, das auch ausführliche Audiokommentare von Ismail Merchant, Greta Scacchi und Nickolas Grace beinhaltet.

Sind die Wechsel zwischen den einzelnen Ebenen auch nicht immer geschickt gewählt, vermag es der Film insgesamt dennoch, den Brückenschlag zwischen den Welten und Zeiten gelungen zu installieren. Die Ausführlichkeit der Darstellungen ergeht sich bisweilen allzu sehr in rudimentären Details, so dass sich die Konzentration auf die dramaturgisch relevanten Bedeutsamkeiten immer wieder ein wenig verliert, was ebenfalls für die Motivationen der Figuren zutrifft. Auch das Zusammenspiel der Darsteller, die im Vorspann wie bei einer Seifenoper bildlich eingeblendet werden, zündet kaum, so dass Hitze und Staub nur selten zu der Intensität gelangt, die auf Grund der dramatisch-romantischen Geschichte zu erwarten gewesen wäre. Was haften bleibt, sind mitunter sehr hübsch gestaltete Bilder und die mystisch anmutende, ruhige Atmosphäre vor allem zum Ende der Reise der Journalistin Anne, die ihren gewohnten Pfaden den Rücken kehrt und sich für eine ungewisse Zukunft in einem Land entschließt, das offensichtlich eine starke Anziehung auf sie ausübt.

Hitze und Staub

Als die junge, aparte Britin Olivia (Greta Scacchi) ihrem frisch angetrauten Gatten Douglas (Christopher Cazenove) in den 1920er Jahren nach Indien folgt, wo dieser als Kolonialbeamter des British Empire im Einsatz ist, verändert sich ihr Leben schlagartig.
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Meinungen

Martin Zopick · 28.12.2018

James Ivory erzählt auf zwei Ebenen die Geschichte von zwei Frauen: Großtante Olivia (Greta Scacchi) und ihre Nichte Anne (Julie Christie), die in den 70er Jahren nach Indien reiste, um Nachforschungen über ihre Großtante anzustellen. Olivia war in den 20er Jahren jungverheiratet mit Douglas (Christopher Cazenove) nach Indien gekommen, als die britische Königin noch Kaiserin von Indien war. Olivia geht eine Liaison mit dem indischen Prinzen Nawab (Shashi Kapoor) ein und wird schwanger. Sie wurde sowohl von ihren Landleuten geächtet als auch von der indischen Gesellschaft abgelehnt. Anne findet Briefe, interviewt Freunde ihrer Tante, verliebt sich auch in einen Inder (Zakir Hussein) und wird ebenfalls schwanger.
Von aufwendigem Pomp begleitet und mit viel Lokalkolorit angereichert wird hier vom detailversessenen Ivory die Frage gestellt, kann sich Geschichte wiederholen? Es geht aber auch um die Frage, kann Olivia sowohl Ehemann Douglas als auch Prinz Nawab die Vaterschaft verkaufen. Sie treibt ab und lebt zurückgezogen in einem abgelegenen Landhaus des Prinzen. Als Anne hier auftaucht, treffen sich die Lebenslinien beider Frauen. Die Nichte will nicht abtreiben.
Erzählweise und Problematik sind wohl der Grund dafür, dass dieser Streifen nicht in der ersten Reihe der Ivory-Filme steht. Zumal die einzelnen Figuren zu farblos erscheinen und Olivias Seitensprung ebenso unverständlich erscheint wie Annes Liebesabenteuer. Von Ehemann Douglas sieht und hört man am Ende nichts mehr, außer dass er es mit stoischer Ruhe aufgenommen hat. Von der Hitze, die der Titel verspricht, ist nichts zu spüren, vom Staub schon. Ein Culture-Clash mit gebremstem Schaum verteilt auf über zwei Stunden.