Lösegeld

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die andere Seite eines Verbrechens

Was für ein Mann der schwerreiche Industrielle Stanislas Graff (Yvan Attal) ist, das ist in diesem Film kein Geheimnis, sondern enthüllt sich in einer rasanten Montage innerhalb der ersten Minuten: Wir sehen ihn beim Unterschreiben wichtiger Papiere, beim Business-Lunch im gepflegten Ambiente, bei Telefonaten mit wichtigen Funktionsträger und den Eliten Frankreichs, bei denen es natürlich um das Wohl des Landes geht, anschließend beim Stelldichein mit der Geliebten im luxuriösen Liebesnest, dann im Kreis der Familie und schließlich beim nächtlichen Zocken. So kurz diese Charakterisierung auch ist, sie lässt kaum einen Zweifel daran, dass Graff eines jenes rücksichtslosen Alphatiere ist, die den Gang der Dinge in Politik und Wirtschaft vor allem auf Kosten Anderer vorantreiben. Nicht gerade ein Sympathieträger also.
Dann, eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit, geschieht das, womit ein Mann in seiner Position immer rechnen muss: Sein Wagen wird gestoppt, der Fahrer überwältigt, Graff entführt und an einen unbekannten Ort verschleppt. Die Entführer sind zu allem entschlossen und trennen ihrem Opfer zuerst einen Finger ab, um ihrer Forderung über 50 Mio. Euro Lösegeld Nachdruck zu verleihen. Was sie allerdings nicht wissen: Aufgrund seiner Spielsucht ist Graffs Vermögen niedriger als die geforderte Summe. Während er um sein Leben fürchten muss, beginnen in seinem privaten und beruflichen Umfeld die Kämpfe darüber, wie man mit der Situation umzugehen habe. Als Graffs Affären und Eskapaden ans Licht kommen, ist das nicht gerade förderlich für die schwierigen Verhandlungen, zumal sich auch noch die Polizei in den delikaten Fall einmischt. Als bei einer Lösegeldübergabe einer der Entführer stirbt und ein zweiter verhaftet wird, kommt Bewegung in die verfahrene Angelegenheit, die Entführer sind gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Sie finden schließlich einen Weg, unbeschadet aus der Sache herauszukommen. Und obwohl Graff weitgehend unversehrt seine Freiheit wiedererlangt, schwebt das Erlebte und dessen Folgen wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt.

Was wie ein „normaler“ Entführungsthriller beginnt, entpuppt sich schon nach kurzer Zeit als faszinierende Variation des Themas. Statt sich auf das Katz-und-Maus-Spiel der Entführer zu konzentrieren, verschiebt Lucas Belvaux (Après la vie – Nach dem Leben, Cavale – Auf der Flucht, Un couple eptatant — Ein tolles Paar) den Fokus seiner manchmal beinahe quälend distanzierten Beobachtungen beinahe unmerklich auf das Opfer und dessen Umfeld. Über die Täter erfährt man so gut wie nichts, sie bleiben fast vollständig hinter den Masken verborgen und können sich weitgehend dem Zugriff der Staatsgewalt entziehen, während auf der anderen Seite, bei den Betroffenen, die Masken gleich reihenweise fallen – was vor allem für das Opfer der Entführung gilt.

War Graff zu Beginn nach außen hin ein Mann von nahezu makelloser Reputation, so ist er am Ende vielfach gebrochen. Zwar mit dem (leiblichen) Leben davongekommen, ist er doch deutlich in Mitleidenschaft gezogen. Alte Freundschaften und Verbindungen zerbrechen, am Schluss wird Graff dessen beraubt sein, was er von einem Vater ererbt hat. In der Firma kaltgestellt und gezwungen, seine Anteile zu verkaufen, ist ausgerechnet er, das Alphatier, zur Untätigkeit verdammt, ein Monarch im Exil. Zwar kann er sich nun als reicher Mann in sein Privatleben zurückziehen, doch es bleibt die Frage, ob dies nicht lediglich eine weitere Form der Gefangenschaft ist. Zumal der äußerliche Reichtum sich in einer grausamen letzten Finte als Illusion herausstellen wird. Am Ende bliebt einem kaum etwas anderes übrig, als Mitleid mit diesem Mann zu empfinden, den der Film so effektiv als wenig sympathisch eingeführt hat.

Trotz deutlicher Längen und einer am Ende nachlassender Konzentration auf den sehr interessanten Fokus der Geschichte ist Lösegeld ein spannender und facettenreicher Film eines Regisseurs, von dem man sicherlich noch einige Überraschungen zu erwarten hat.

Lösegeld

Was für ein Mann der schwerreiche Industrielle Stanislas Graff (Yvan Attal) ist, das ist in diesem Film kein Geheimnis, sondern enthüllt sich in einer rasanten Montage innerhalb der ersten Minuten:
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