Elf Uhr nachts

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Unmöglichkeit der Liebe

Ferdinand Griffon (Jean-Paul Belmondo) ist mit einer Schönen der gehobenen Pariser Gesellschaft (Graziella Galvani) verheiratet, und an diesem Abend, an dem er in der Badewanne liegt und seiner Tochter aus einem Werk über spanische Maler vorliest, verlangt es ihn keineswegs danach, die Einladung seines Schwiegervaters zu einer konventionellen Gesellschaft anzunehmen. Doch seine Frau hat bereits eine Kinderbetreuung engagiert, die dann in Person der Studentin Marianne Renoir (Anna Karina) auch erscheint, so dass Ferdinand widerwillig mit seiner Gattin zur mondänen Party aufbricht. Lange bleibt Ferdinand allerdings nicht auf dem stilisierten Fest der farbintensiven Oberflächlichkeiten, bei dem die Konversationen größtenteils aus Dialogen bestehen, die wie Werbeslogans für exklusive Produkte erscheinen, auch wenn das intellektuelle Territorium durch Filmphilosophien eines US-amerikanischen Regisseurs (Samuel Fuller) bereichert wird. Als Ferdinand nach Hause zurückkehrt und den Babysitter heimfährt, wird deutlich, dass es sich bei der Studentin um seine frühere Geliebte handelt, und zwischen den beiden flammt rasch die alte Anziehung wieder auf, so dass Pierrot, wie Marianne ihn hartnäckig nennt, spontan seine Familie verlässt – für immer, wie sich schließlich herausstellt. Und damit beginnt ein schräges Roadmovie à la Jean-Luc Godard, das ausführliche literarische Elemente mit einem politischen Hintergrund und einer nicht geringen Anzahl von blutigen Leichen verknüpft.
Elf Uhr nachts, dessen deutscher Titel wenig signifikant wirkt, stellt – wie es der Godard-Spezialist Colin MacCabe in seiner Einführung zum Film auf der DVD treffend bemerkt – einen Film über Tod und die Unmöglichkeit der Liebe dar. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten hatten sich der Regisseur und Drehbuchautor, der das Buch nach dem Roman Obsession von Lionel White verfasste, und seine damalige Frau Anna Karina bereits getrennt, und es gab Befürchtungen darüber, dass Jean-Luch Godard vor allem mit dem drastischen Schluss des Films suizidale Tendenzen transportiert habe.

Die politischen Aspekte konzentrieren sich auf eine zynische Parodie auf den Vietnamkrieg, während die literarischen Sequenzen breit gefächerte Anspielungen vor allem auf die französische Szene wie Arthur Rimbaud enthalten und zudem eine ansprechende Epik und auch Poesie innerhalb der Dramaturgie installieren, die durch gesanglich-choreographische Einlagen betont werden. Während sich Pierrot in der ländlichen Idylle der abgeschiedenen wie ausführlichen Zweisamkeit dem Schreiben widmet, fehlt es Marianne an Bewegungen und Beschäftigungen – ein Sinnbild für die letztliche Unvereinbarkeit ihrer Verbindung, deren Ewigkeitsversprechen nicht Pierrot, sondern dem Zuschauer von Marianne direkt bedeutungsvoll ins Gesicht gesagt wird. Dieser intensive Augenblick repräsentiert wie kein anderer die entschiedene Kernbotschaft des Films mit der Absage an die Haltbarkeit der Liebe, denn dass dieser Treueschwur, den Geliebten niemals zu verlassen, zum Scheitern verurteilt ist, daran lässt die ganz zauberhaft und beinahe schwerelos agierende Anna Karina hier keinen Zweifel.

Im Grunde erzählt Elf Uhr nachts mit seiner anregenden, hin und wieder abrupt pausierenden Musik als dramaturgisch wichtige Komponente, seinen lebendigen Farbkompositionen und seiner dynamischen Schnittführung die Geschichte eines unstetigen Gangsterpärchens, das dem bürgerlichen Leben rigoros den Rücken gekehrt hat und mit ebenso großer wie sarkastischer Selbstverständlichkeit raubt und mordet. Die außergewöhnliche künstlerische Gestaltung der Geschichte, die durch zahlreiche visuelle Effekte wie das Aufleuchten von Begriffen wie „vie“ und „mort“ in Neonschrift collagenartig flankiert wird, sowie die intellektuellen Diskurse und der derbe Humor machen Elf Uhr nachts zu einem skurrilen, ganz hervorragend inszenierten Werk voller philosophischer Inspirationen, das jenseits der klassischen Sehgewohnheiten zahlreiche Referenzen zu einigen Filmen Jean-Luc Godards aufweist und damit innerhalb der Gesamtschau seines Schaffens eine bedeutende Position einnimmt.

Elf Uhr nachts

Ferdinand Griffon (Jean-Paul Belmondo) ist mit einer Schönen der gehobenen Pariser Gesellschaft (Graziella Galvani) verheiratet, und an diesem Abend, an dem er in der Badewanne liegt und seiner Tochter aus einem Werk über spanische Maler vorliest, verlangt es ihn keineswegs danach, die Einladung seines Schwiegervaters zu einer konventionellen Gesellschaft anzunehmen.
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