Leaving Las Vegas

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die melancholische Mission, sich zu Tode zu trinken

Dieser Mann ist am Ende, und seine krampfhaften Bemühungen, seinen desolaten Zustand zu überspielen und eine Restwürde zu wahren, betonen nur noch seine tiefe Verzweiflung. Als der Drehbuchautor Ben Sanderson (Nicolas Cage) im Zuge seiner Kündigung die Selbsterkenntnis erlangt, dass er in Hollywood und auch im Allgemeinen erledigt ist, fasst er einen drastischen Entschluss. Nachdem er beinahe seine gesamte Habe entsorgt sowie seinen Pass verbrannt hat, macht sich der unentrinnbar dem massiven Alkoholkonsum verfallene Ben mit seiner großzügigen Abfindung auf nach Las Vegas, um sich dort zu Tode zu trinken.
Angekommen in der Stadt des Glücksspiels, der flüchtigen Begegnungen und der lauernden Abgründe bezieht Ben in einem günstigen Hotel Quartier und deckt sich mit Umengen an Spirituosen ein. Während er sich alkoholselig durch den Tag treiben lässt, begegnet er der Prostituierten Sera (Elisabeth Shue), die er überredet, ihn für eine stattliche Summe in sein Hotel zu begleiten. Auch die schöne junge Frau steckt gerade mächtig in der Krise. Während sie in einer Abhängigkeitsbeziehung zu dem selbstherrlichen Yuri (Julian Sands) gefangen ist, bemüht sie sich, mit ihrer Identität als Hure zurechtzukommen. Das, was sich letztlich allmählich zwischen Ben und Sera ereignet, entwickelt sich zu einer tragischen Liebesgeschichte im Schatten der drohenden Eskalationen …

Dass Nicolas Cage für die Verkörperung dieses gebrochenen Mannes, der sich einerseits kühl kalkuliert und dann wieder absolut emotional daranmacht, seinem Leben in einem exzessiven letzten Rausch ein Ende zu bereiten, einen Oscar gewann, ist nur allzu verständlich. Leaving Las Vegas hat darüber hinaus eine Flut der Nominierungen und Auszeichnungen erhalten, die ebenfalls vor allem die stark berührende Darstellung der Hauptfigur würdigen, die ihren eigenen Untergang überaus eindrucksvoll zelebriert. Die gesamte Dramaturgie dieses düsteren Dramas voll ergreifender Melancholie neben dumpfer Härte in der flirrenden urbanen Glamourösität von Las Vegas wird von stimmungsvoller, mitunter geradezu zynisch anmutend romantischer Musik begleitet, die ebenfalls von Regisseur Mike Figgis in Kooperation mit Musikern wie Sting und Don Henley kreiert wurde.

Die komplexe Darstellung und Funktion der Sexualität zwischen Erotik, Erregung und Ekel korrespondiert mit der gewaltigen Sehnsucht der Protagonisten nach existentieller und bergender Nähe, die immer wieder verheißen wird, um sich erneut in den unauslotbaren Schluchten der Einsamkeit zu verlaufen. Letztlich geht es um das pompösen Phänomen der wahren, lindernden Liebe, deren unvermitteltes Erscheinen im Angesichts des Todes hier mit unpathetischer Intensität inszeniert wird. Das ist spannendes, großes Kino mit ebenso gewagter wie gelungener Emotionalität und außergewöhnlich stimmigen, packenden Bildern, die ganz hervorragend innerhalb einer filigranen Balance zwischen Innen und Außen das Wesen der Grenzbeziehungen transportieren, die hier unter den Charakteren schwelen. Der schwerlastige Gedanke, dass bei Zeiten erst die Öffnung des finalen Abgrunds die Möglichkeit birgt, zu den wesentlichen Werten der menschlichen Existenz durchzudringen, flankiert immer wieder diesen wunderbaren Film, der es wagt, Verständnis für den selbst bestimmten Tod als humanistische Grundkonstante zu erwecken.

Leaving Las Vegas

Dieser Mann ist am Ende, und seine krampfhaften Bemühungen, seinen desolaten Zustand zu überspielen und eine Restwürde zu wahren, betonen nur noch seine tiefe Verzweiflung.
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