M - Eine Stadt sucht einen Mörder (1931)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Der Mann mit dem M auf dem Schulterblatt

Es ist schlichtweg eine grandiose Szene, mit der dieses berühmte und angesehene Werk der Filmgeschichte aus dem Jahre 1931 eröffnet: Zur Mittagszeit in der deutschen Metropole Berlin spielen Kinder im Hinterhof, die den legendären Reim von Haarmann mit dem Hackebeilchen rezitieren. Eine Frau aus dem Haus rügt sie auf Grund des grausam-spöttischen Verses, eine andere – Frau Beckmann (Ellen Widmann) – entgegnet, so lange man sie singen höre, wisse man wenigstens, dass sie noch da seien. Ihre eigene kleine Tochter Elsie (Inge Landgut) erwartet sie in Kürze aus der Schule und bereitet bereits das Mittagessen vor, wird unruhig, als diese nicht pünktlich mit den anderen Kindern aus der Nachbarschaft erscheint, ruft nach ihr, späht das leere Treppenhaus hinunter, schaut auf dem Dachboden nach – doch das Kind ist nirgends zu finden.

Derweil ist Elsie auf dem Heimweg zu sehen, ein Schutzmann begleitet sie über die Straße, das Mädchen hält an einer Litfaßsäule, an der ein Plakat 10.000 Mark Belohnung für die Ergreifung des Kindermörders verspricht, inne und spielt mit seinem Ball. Da legt sich der Schatten eines Mannes (Peter Lorre) auf die Säule, der Elsie anspricht, sich einschmeichelt und ihr einen Luftballon bei einem blinden Mann kauft, der für den weiteren Verlauf der Handlung noch bedeutsam sein wird – hier ertönt auch zum ersten Mal die gepfiffene Melodie „In der Halle des Bergkönigs“ aus der Peer-Gynt-Suite No. 1 von Edvard Grieg, die als wiederkehrendes Motiv auf die Umtriebe des Mörders verweist. Der Mann und das Mädchen setzen den Weg gemeinsam fort, bis schließlich unweit eines abgelegenen Gebüsches der ausrollende Ball ins Bild gerät, daraufhin der Luftballon, der in der Luft gegen die Seile eines Hochspannungsmasts treibt, um dann gen Himmel zu driften.

In diesem dichten Auftakt voll signifikanter, vielschichtiger Andeutungen und Bezüge, der charakteristisch für die sorgfältige, packende und einfach ganz hervorragende Inszenierung von M – Eine Stadt sucht einen Mörder steht, lässt bereits intensiv die Bedrohung spüren, die in der Luft liegt. Die folgende Szene eröffnet mit einer Extra-Ausgabe der Zeitung, die sich rasant in der Stadt ausbreitet und vom Mord an der kleinen Elsie berichtet.

Die Polizei tappt bei der Suche nach dem Kindermörder unter der Leitung des berüchtigten Kriminalkommissars Lohmann (Otto Wernicke) trotz Höchstaufgebot zunächst völlig im Dunkeln, und die verstärkten Razzien scheuchen nur die Berliner Unterwelt auf, die daraufhin beschließt, sich selbst auf die Suche nach dem großen Unbekannten zu begeben. Und tatsächlich gelingt es ausgerechnet der Gaunerschaft gemeinsam mit den organisierten Bettlern, endlich die Spur des gejagten Scheusals zu finden und sich sogar an seine Fersen zu heften, während die Polizei zeitgleich denselben Mann zu verdächtigen beginnt und in dessen Zimmer auf ihn wartet. Doch der knallharte „Schränker“ (Gustaf Gründgens) als Kopf der Verbrecherschar entscheidet sich dafür, den Mörder nicht etwa an die Gesetzeshüter auszuliefern, sondern ihm selbst den Prozess zu machen – in Gegenwart der Berliner Unterwelt, die er auf Grund ihres umfassenden Vorstrafenregisters mit köstlichem Zynismus als „Sachverständige in Rechtsfragen“ bezeichnet …

Im Laufe seiner beinahe achtzig Jahre umfassenden Rezeptionsgeschichte ist M – Eine Stadt sucht einen Mörder unzählige Male in die unterschiedlichsten Richtungen haarklein analysiert und interpretiert worden, wobei die Deutungen sich vorwiegend auf politischem, psychologischem und natürlich filmtheoretischem Terrain bewegen. Zweifellos stellt dieses ungeheuer komplexe, in sich stimmige und höchst beeindruckende Glanzstück des deutschen, europäischen und internationalen Films einen frühen, unübersehbar bedeutsamen Meilenstein des Tonfilms dar, der bis auf die dramaturgisch relevanten gepfiffenen Sequenzen gänzlich auf Musik und bei Zeiten auch auf Geräusche überhaupt verzichtet, ohne dabei auch nur die geringsten Einbußen innerhalb seiner grandios gelungenen Stimmungen zu verzeichnen. Das ist Schauspiel, Regie und Komposition auf höchstem Niveau, dessen Elemente für sich betrachtet so gehaltvoll wie repräsentativ im filmisch übergeordneten Kontext erscheinen.

Der Filmemacher Fritz Lang (1890-1976), der auch das bedeutende Werk Metropolis aus dem Jahre 1927 inszeniert hat und als geradezu pedantischer, enorm strukturierter und bestens organisierter Fleißarbeiter gilt, hat hier mit einer Vielzahl an wundervollen Protagonisten – allen voran der markante, in seiner Wahnsinns-Versunkenheit geradezu über sich selbst hinauswachsende Peter Lorre in der Rolle seines Lebens – und begeisternden kleinen wie großen Einfällen einen Film geschaffen, der auch im 21. Jahrhundert qualitativ ohne Wenn und Aber absolut überzeugt und eine Spannung transportiert, die es bei einmaliger Ansicht dem Zuschauer kaum ermöglicht, nebenbei all die feinsinnigen wie provokanten Details wahrzunehmen, die diesen Film zuhauf bevölkern.
 

M - Eine Stadt sucht einen Mörder (1931)

Es ist schlichtweg eine grandiose Szene, mit der dieses berühmte und angesehene Werk der Filmgeschichte aus dem Jahre 1931 eröffnet: Zur Mittagszeit in der deutschen Metropole Berlin spielen Kinder im Hinterhof, die den legendären Reim von Haarmann mit dem Hackebeilchen rezitieren.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen