Martín (Hache)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Wenn bereits augenscheinlich erwachsene und selbstständige Kinder unvermittelt in einer Krise stranden, stehen auch die Eltern meist vor gravierenden Schwierigkeiten. Mitunter wissen sie kaum etwas über die wahrhaft wichtigen Entwicklungen im Leben ihrer Großen, die doch im Begriff sind, ihr ganz eigenes Ding zu machen, unabhängig von der elterlichen Intervention und auch Fürsorge. Die erneute geballte Konfrontation im Notfall stellt dann eine harte Probe für die Belastbarkeit dieser Beziehung auf beiden Seiten dar, deren eingeläutete Unabhängigkeit für eine Weile außer Kraft gesetzt wird. Eine derartige Konstellation liegt dem Film Martín (Hache) des argentinischen Regisseurs Adolfo Aristarain aus dem Jahre 1997 zu Grunde, der aus der Problematik einer schwierigen Vater-Sohn-Verbindung ein modernes, intellektuelles Bravourstück einer ausführlichen Reflexion über urbane Lebenshaltungen werden lässt.
Der junge Martín H., genannt Hache (Juan Diego Botto), lebt als Musiker in Buenos Aires und lässt sich durch die Jugendkultur der örtlichen Clubs treiben, wo seine Band gelegentlich auftritt. Als seine Freundin ihm bei einem Gig eröffnet, dass sie ihn zwar liebe, aber die Beziehung dennoch beenden will, zieht sich Hache kräftig mit Kokain zu und bricht anschließend auf der Bühne zusammen. Seine besorgte Mutter, die mit ihrer neuen Familie in der Stadt lebt, eilt ins Krankenhaus, und Haches Vater Martín (Federico Luppi), der bereits seit Jahren in Madrid als erfolgreicher Drehbuchautor arbeitet, reist ebenfalls an. Als feststeht, dass Hache kaum Folgen seiner Überdosis davongetragen hat und er die Klinik verlassen kann, beginnen die familiären Beratungen über sein weiteres Schicksal. Während der stille Gitarrist selbst kaum Vorstellungen diesbezüglich hegt, wissen seine Eltern jeder für sich zumindest ganz genau, dass in ihrem Leben kein Raum für den erwachsenen Sohn ist.

Widerwillig entschließt sich Martín dazu, seinen Sohn zunächst einmal mit nach Madrid zu nehmen, damit er sich erholen und über seine Perspektiven sinnen kann, doch der egozentrische ältere Mann macht unumwunden deutlich, dass er sich dadurch in seinem unabhängigen Daseinsrhythmus erheblich beschränkt sieht. In Madrid trifft Hache auf den Freigeist und Schauspieler Dante (Eusebio Poncela), einen engen alten Freund seines Vaters, der seine aufrichtige Freude über Haches Erscheinen zum Ausdruck bringt und künftig einen emotionalen Gegenpart zum kühlen, stets kontrollierten Martín bildet. Bald lernt Hache auch Alicia (Cecilia Roth) kennen, die Freundin seines Vaters, die sich kaum noch bemüht, ihren enormen Kokainkonsum zu verbergen, mit dem sie ihren Kummer über die unerquickliche Beziehung zu Martín bestäubt, der im Grunde nur um sich selbst und seine Arbeit kreist. Derweil entwickelt sich zwischen Dante und Hache eine vertrauensvolle Freundschaft, innerhalb welcher jene notwendigen ernsthaften und respektablen Gespräche stattfinden, die der junge Mann so dringend braucht.

Als Martín und Alicia für ein paar Tage Urlaub in einer abgelegenen Luxusvilla machen, reisen Dante und Hache kurzerhand hinterher. Und am Pool mit reichlich edlem Alkohol ereignet sich die kommunikative Dynamik dieser Viererkonstellation, die besonders bei Alicia die Emotionen zum Kochen bringt. Hier wirbeln die klassischen Rollen der Protagonisten wild durcheinander, und am Ende dieses komfortablen Szenarios der bitteren Reflexionen wird einer von ihnen tot sein.

Dieser ungewöhnliche Coming-of-Age Film, der ganz von seinen dichten Diskursen über die Philosophie von Lebenskonfigurationen lebt, dreht das gängige Muster im Grunde um: Hache erscheint nicht rebellisch oder auch nur stur, sondern recht artig und lediglich orientierungsunwillig, während sein Vater durchaus unreife, trotzige Tendenzen produziert und die „Angelegenheit“ mit seinem Sohn möglichst nüchtern im Sinne der eigenen Wertvorstellungen zu regeln bemüht ist. Doch da ist Dante, der wundervolle Gefährte, der Hache zeigt, wie wichtig es trotz aller konventionellen Zwänge ist, seine eigene Persönlichkeit zu etablieren, auch wenn dieser Weg am Widerstand entlang führt. Und letztlich ist Hache so weit, mit verschmitzter Jugendweisheit seine unabhängige Entscheidung zu treffen.

Martín (Hache), der auf einigen internationalen Filmfestivals prämiert wurde und unter anderem in vier Kategorien mit den Premios Cóndor de Plata, dem Silbernen Condor der Vereinigung der argentinischen Filmkritiker ausgezeichnet wurde, erzählt seine Geschichte aus der Perspektive der Elterngeneration, die durch die Konfrontation mit der Jugend dazu herausgefordert wird, die eigenen Haltungen zu reflektieren. Dabei transportiert der Film die Botschaft, dass ohne ein gewisses Maß an Selbstkritik und authentischem Engagement der Zugang zu den Welten der folgenden Generation schlicht versperrt bleibt und dass nur Lernprozesse auf beiden Seiten zu einem guten Kontakt führen können. Erscheint diese Aussage auch auf den ersten Blick wenig spektakulär, so findet Martín (Hache) doch kluge, starke Bilder und Worte für diese einfache Formel von Transparenz und Wertschätzung, die gerade zwischen Vätern und Söhnen allzu selten Anwendung findet.

Martín (Hache)

Wenn bereits augenscheinlich erwachsene und selbstständige Kinder unvermittelt in einer Krise stranden, stehen auch die Eltern meist vor gravierenden Schwierigkeiten. Mitunter wissen sie kaum etwas über die wahrhaft wichtigen Entwicklungen im Leben ihrer Großen, die doch im Begriff sind, ihr ganz eigenes Ding zu machen, unabhängig von der elterlichen Intervention und auch Fürsorge.
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