Stalker (1979)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Im Bannkreis der Zone

Auch wenn es sein Job ist und er damit den keineswegs üppigen Lebensunterhalt seiner kleinen Familie bestreitet, ist es doch vor allem eine seltsame Sucht, die den Stalker (Alexander Kajdanowski) dazu treibt, immer wieder Personen illegal in die streng bewachte Zone zu bringen. Denn dieses militärisch abgeschirmte Areal, über dessen Entstehung etwa durch einen Meteoriteneinschlag oder eine sonstige außerirdische Einwirkung allenfalls vage spekuliert werden kann, ist von einem mysteriösen Zauber umgeben. Nicht nur eine verrottende Industrielandschaft, die in derber Schönheit von der Natur zurückerobert wird, stellt diese Zone dar, sondern vielmehr ein befremdliches Territorium mit geradezu wesenshaften Ausprägungen. Hier herrschen ganz eigene Gesetze und Geschwindigkeiten, die der kundige Stalker zu überleben gelernt hat, und es ist vor allem ein sagenumwobener Raum, der die Menschen an diesen höchst gefährlichen Ort drängt: ein Zimmer, in dem die verborgensten Wünsche der Menschen erfüllt werden sollen.

So sehr sich seine Frau (Alissa Frejndlich) auch weigert, diesen Entschluss zu akzeptieren, auch mit Rücksicht auf ihre gemeinsame Tochter (Natascha Abramowa), die ohne Beine geboren wurde, ändert ihre Verzweiflung nichts daran, dass sich der Stalker zu einer erneuten Expedition in die Zone rüstet. Dieses Mal sind es ein Schriftsteller (Anatoli Solonizyn) und ein Physikprofessor (Nikolai Grinko), die den geradezu traumatisiert wirkenden Scout engagieren, um den magischen Raum der Wunscherfüllung zu erreichen. Geht es dem Schriftsteller dabei um die Göttin der effektiven Inspiration, denkt der Professor eher an machtpolitische Möglichkeiten, doch zunächst gilt es, eine gewagte Strecke auf dem schwierigen Gelände zurückzulegen, die auch von Konflikten der drei Weggefährten untereinander gesäumt ist. Und die Zone selbst mit ihren unberechenbar erscheinenden Stimmungen wird zum Zerrspiegel der menschlichen Bewegungen und Sehnsüchte, die hier mit religiöser Intensität hinter den geruhsamen Bildern einer bedrohlichen Natur verhallen. Wird es dem Stalker gelingen, sich und seine Begleiter wieder in gewohnte Gefilde zu retten, bevor sie von der soghaften Melancholie der Zone absorbiert werden?

Stalker des russischen Regisseurs Andrej Tarkowskij aus dem Jahre 1979 erhielt bei den Filmfestspielen von Cannes 1980 den Preis der Ökumenischen Jury und gilt heute als geschätzter Klassiker eines Genres, das sich im Grunde einer gängigen Klassifizierung weitestgehend schlichtweg entzieht. Die zunächst recht schlicht, mit ihren wenigen Protagonisten übersichtlich und doch stark hintergründig beginnende Geschichte, die ihre Spannung eher aus angedeuteten gedanklichen Dimensionen als durch dramaturgische Sensationen entstehen lässt, basiert in groben Zügen auf dem visionären Roman Picknick am Wegesrand / Piknik na obotschinje von Arkadi und Boris Strugazki, die auch das Drehbuch zu Stalker verfassten. Die unbarmherzige Schwermut als Grundkonstante der menschlichen Verlorenheit, die bereits in Andrej Tarkowskijs Solaris / Soljaris von 1972 anklang, findet hier in noch weit höherem Maße visuelle Entsprechungen in kraftvollen, klaren Bildern der unwegsamen, immer wieder vom Wasser beherrschten Landschaft als naturalistische Ausprägung und gleichzeitig Projektionsfläche von Sehnsüchten und Ängsten.

Stalker ist ein zutiefst philosophischer Film mit konstruktivistischen Tendenzen, der den gewöhnlichen Lebenswelten ein nur ansatzweise durchschaubares System gegenüberstellt, in dem die Gegebenheiten und Geschehnisse letztlich vom Zustand und Verhalten der Figuren abhängen, die sich selbst wiederum als ausgeliefert empfinden. Ist es tatsächlich zum Wohle des Menschen, wenn seine verborgenen Wünsche erfüllt werden, die ihm mitunter selbst nicht bewusst sind? Welche Auswirkungen hätte eine solche Aussicht auf die elementaren Komponenten einer humanistischen Gesellschaft? Es sind existentielle Fragen wie diese, die aus der düsteren, kunstvoll und auch musikalisch eindringlich gestalteten Atmosphäre von Stalker aufschweben und sich mit hartnäckigem Unbehagen ins Bewusstsein des Zuschauers drängen. Um mit ähnlicher Langsamkeit einzusickern und zu verharren, durch die sich die unkonventionelle Dramaturgie auszeichnet.
 

Stalker (1979)

Auch wenn es sein Job ist und er damit den keineswegs üppigen Lebensunterhalt seiner kleinen Familie bestreitet, ist es doch vor allem eine seltsame Sucht, die den Stalker (Alexander Kajdanowski) dazu treibt, immer wieder Personen illegal in die streng bewachte Zone zu bringen.

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