Lina Braake

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Auffassung, dass Banken die größten legalisierten Abzocker schlechthin sind, findet sich nicht erst in der letzten Zeit häufig im Volksmund, und die Protagonistin dieses tragikomischen Films von Bernhard Sinkel aus dem Jahre 1974 erfährt dies am eigenen Leib. Lina Braake – versehen mit dem sophistischen Untertitel Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat – erzählt die Geschichte einer alten Frau, die mit ihrem Wohnraum gleichzeitig ihr gewohntes und geschätztes Leben verliert, doch tapfer und verschlagen den klassischen Kampf des Davids gegen den übermächtig erscheinenden Goliath führt.
Obwohl ihr der verstorbene Vermieter ihrer Wohnung testamentarisch ein Wohnrecht auf Lebenszeit zugesichert hat, gestaltet sich die Situation auf Grund einer versäumten Frist für die 81jährige Lina Braake (Lina Carstens) letztlich dramatisch: Sie muss ihr Zuhause rasch räumen und wird kurzerhand in ein Altersheim verfrachtet. Dort fällt es der verzweifelten Frau, die sich ein Zimmer mit verfeindeten Zwillingen teilen muss, nicht leicht, heimisch zu werden, und es folgt für sie eine Zeit der düsteren Resignation. Doch Lina findet in dem charmanten Gustav Härtlein (Fritz Rasp), einem pfiffigen ehemaligen Bankbetrüger, nicht nur einen verbundenen Mitbewohner und Freund, sondern auch einen ausgekochten Komplizen. Denn die alte Dame nimmt noch einmal ihre ganze Kraft zusammen, von dem belebenden Wunsch getrieben, es der hinterlistigen Bank heimzuzahlen, deren Tricks sie um ihre Wohnung brachten.

So treffen Lina und Gustav, der seine Freundin mit Hilfe eines Monopoly-Spiels in die Geheimnisse der Geldzirkulationen einweiht, sorgfältige konspirative Vorbereitungen, verschworenen Trickbetrügern gleich, um der Bank eine größere Summe abzutrotzen, die Lina in ein Haus auf Sardinien investieren will. Dazu verwandelt sich die schlichte Frau für ihren Auftritt bei der Bank sogar in eine elegante Erscheinung, und es bereitet ihr nach anfänglichem Zögern gewaltiges Vergnügen, ihre Rolle zu spielen, ebenso wie Gustav, seine schon so lange brachliegenden Kenntnisse des Gaunertums noch einmal auszuüben. Schließlich steht der Höhepunkt des großen Coups bevor, und Lina reist nach Sardinien, wo sie bereits von ihren einheimischen Kontaktleuten erwartet wird …

Ein Schelmenstück vor dem Hintergrund der sehr ernsthaften Problematik der Lebenssituationen älterer Menschen in Deutschland stellt Lina Braake dar – eine Thematik, deren Brisanz sich seit der Entstehung des Films vor 35 Jahren noch massiv verschärft hat. Bernhard Sinkels leises, mitunter recht humoriges Drama wurde 1975 auf der Berlinale uraufgeführt, wo es in der Sektion Forum gleich zweifach ausgezeichnet wurde, und es folgten das Filmband in Silber und in Gold, Letzteres für die hervorragende Hauptdarstellerin. Mit einer kuriosen Schauspielertruppe, liebevollen Details und einer stimmigen Dramaturgie gelingt es dem Regisseur, das Rechtsempfinden des Zuschauers ganz für die tapfere Heldin einzunehmen, die am Ende zwar gewinnt, doch keineswegs triumphiert – eine Haltung, die diesen reizenden kleinen Film mit seiner dezenten Bissigkeit umso symphatischer macht.

Lina Braake

Die Auffassung, dass Banken die größten legalisierten Abzocker schlechthin sind, findet sich nicht erst in der letzten Zeit häufig im Volksmund, und die Protagonistin dieses tragikomischen Films von Bernhard Sinkel aus dem Jahre 1974 erfährt dies am eigenen Leib.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Gert Seddig · 19.11.2021

Marie Andersson bringt es in Ihrer Filmkritik auf den Punkt. Dem Autor und Regisseur Bernhard Sinkel ist es in den 70-er Jahren gelungen, ein von der Gesellschaft damals zur Seite gelegtes wichtiges Thema: In Würde alt werden aufzugreifen. In einer Zeit zunehmender Lebenserwartung. Und es ist ihm gelungen, diesen tief sozialkritischen Stoff spannend und vollendet unterhaltsam zur Schau zu stellen, ohne die dahinter steckende Wahrheit zu verraten. Für mich ein absolutes Meisterwerk. -- Alle Darsteller, sehr verdiente und engagierte Schauspieler ihrer Zeit, genial ausgewählt, spielten ihre Rollen in voller Glaubwürdigkeit, als Spiegel einer bizarren Wirklichkeit des Lebens in einem Seniorenheim.