Solas

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die unerträgliche Einsamkeit des Daseins

Es ist nur ein kleiner Kreis höchst unspektakulärer Protagonisten, und doch vermag es dieser, den Zuschauer auf unmerkliche Weise derart zu fesseln, dass das Ende des Films geradezu das Bedauern auslöst, diese Figuren bereits zu verlassen. Dabei ist auch die Handlung von Solas des spanischen Regisseurs Benito Zambrano (Habana Blues / Havanna Blues, 2005) an sich keineswegs aufregend, sondern es geht vielmehr um recht banales Alltagsgeschehen, und doch entsteht eine ungeheure Nähe zu den Charakteren, in deren bescheidenen Existenzen sich neben den akuten Krisen auch zaghafte Impulse zur Linderung ihrer tief ausgeprägten Einsamkeit abzeichnen.
María (Ana Fernández) ist Mitte dreißig, gerade im Begriff, einen neuen Job als Putzfrau für eine Reinigungsfirma in Sevilla anzutreten und lebt ein von wenigen vagen Bindungen umgebenes, improvisiertes und unzufriedenes Dasein. Kontakt zu ihrer Familie besteht schon lange nicht mehr, doch das ändert sich, als ihr Vater (Paco de Osca) im Krankenhaus in der Stadt behandelt werden muss und ihre Mutter (María Galiana) derweil bei ihr einzieht, um ihn betreuen zu können – ein notdürftiges Arrangement, das keiner der Frauen behagt, deren Verhältnis sich distanziert bis kühl gestaltet. Zwischen María und ihrem autoritären, selbstherrlichen Vater, der nicht einmal mehr ein Mindestmaß an Höflichkeit der Mutter gegenüber aufbringt, herrscht bereits seit Jahren gegenseitige Abneigung, so dass sie ihn nicht besucht und er selbst es kaum ertragen kann, dass seine Frau bei ihrer Tochter untergekommen ist.

In dieser für alle unerquicklichen Situation entdeckt María, dass sie von ihrem Liebhaber Juan (Juan Fernández) schwanger ist, einem dominanten, groben Gesellen, der ihr offensichtlich nicht wohl tut und sie mit üblen, unterschwelligen Beschimpfungen zur Abtreibung zwingen will. Der enttäuschten und verletzten Frau ist selbst bewusst, dass ihr flüchtiger, nur allzu häufig von Alkoholexzessen begleiteter Lebensstil keinen guten Raum für ein Baby bietet, und doch schwelt da eine ganz gewaltige Sehnsucht nach Veränderung, Nähe und Liebe, so dass sie anfänglichen Impulsen zum Trotz zögerlich die Möglichkeit in Betracht zieht, das Kind zu bekommen. Innerhalb dieses Prozesses gelingt es ihr auch, sich von Juan zu lösen, der im Grunde nur ein Muster repräsentiert, das ihr ebenso vertraut wie verhasst ist.

Derweil freundet sich die Mutter zaghaft mit dem ungeschickten, doch überaus freundlichen alten Nachbarn Vencino (Carlos Álvarez-Nóvoa) an, der mit seinem Hund als einzigem Gesprächspartner zusammenwohnt und ihre als selbstverständlich empfundene Fürsorge schätzt und erwidert. Die ältere Frau erfährt durch diesen Kontakt zum ersten Mal nach ewigen Zeiten wieder einmal die Aufmerksamkeit eines Menschen, und ganz behutsam kommt sie auch ihrer Tochter näher, doch bald wird ihr Mann aus dem Krankenhaus entlassen, und es gibt keinen Zweifel daran, dass die Mutter damit wieder in den trostlosen Alltag zurückkehren muss. Doch ihr Aufenthalt in Sevilla hat dennoch leise, aber nachhaltige Veränderungen angestoßen …

Auf ganz dezente Weise erzählt Solas aus dem Jahre 1998 eine bedeutende Sequenz aus dem Leben dreier Personen, deren unprätentiöse Menschlichkeit so hervorragend dargestellt wird, dass sie ohne Pathos heftig berührt. Es ist eine ganze Reihe sozialer Konflikte, die der Film betrachtet, doch der Fokus liegt nicht auf einer Analyse oder gar Kritik, sondern auf der ganz persönlichen Entwicklung der Protagonisten, deren Hintergründe dem Zuschauer auch ohne Erklärungen vertraut erscheinen. Eben darin liegt das Geheimnis dieses Films, der auf der Berlinale 1999 Premiere feierte und seitdem auf etlichen internationalen Filmfestivals nominiert und prämiert wurde: Er zeigt das Leben ganz gewöhnlicher, vereinsamter Menschen mit einer faszinierenden, komplexe Geschichten nur andeutungsweise transportierenden Authentizität, die weder in die Illusion revolutionärer Veränderungen abgleitet, noch erfreuliche Bewegungen ausschließt. Dieser schlichte Realismus, der diesen wunderbaren Film auszeichnet, findet sich in einem simplen Satz wieder, mit dem ein Arzt aus der Klinik die Mutter tröstet: „Es kostet gleich viel, ob man lacht oder murrt.“

Solas

Es ist nur ein kleiner Kreis höchst unspektakulärer Protagonisten, und doch vermag es dieser, den Zuschauer auf unmerkliche Weise derart zu fesseln, dass das Ende des Films geradezu das Bedauern auslöst, diese Figuren bereits zu verlassen.
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