Uneasy Rider

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Tabuthema Sex und Behinderung

Die Autoroute Nationale 7, die Charles Trenet einst in einem berühmt gewordenen Schlager besang, den später die belgische Band The Honeymoon Killers zu einiger Berühmtheit brachte, ist so etwas wie die Traumstraße der Franzosen. Sie führt aus dem tristen Norden an die Côte d’Azur, in das Urlaubsparadies, das zwar einiges von seinem Reiz, aber nichts von seinem Mythos eingebüßt hat. Mit der zwanghaften Fröhlichkeit des Chansons hat Jean-Pierre Sinapis Film Uneasy Rider, der im französischen Original Nationale 7 heißt, nicht zu tun – im Gegenteil. Mit Handkamera im Dogma-Stil (Lars von Triers Idioten lassen grüßen) widmet sich der Film dem Tabuthema Behinderung und Sexualität und lässt keine Gelegenheit aus, ganz nah an menschliche Abgründe zu führen.
René (Olivier Gourmet) heißt die Hauptperson, auf dessen Schicksal Jean-Pierre Sinapi sein Kameraauge richtet. René leidet an Muskelschwund, ist dadurch an einen Rollstuhl gefesselt und attackiert mit seinen rüden Beleidigungen und derben Sprüchen das Pflegepersonal des Heimes in der Nähe der Nationale 7 ebenso wie die anderen Patienten. Erst der jungen Pflegerin Julie (Nadia Kaci) vertraut sich René schließlich an und verblüfft durch sein Bekenntnis, sich wie wahnsinnig nach Sex mit einer nicht-behinderten Frau zu sehnen. Nach einigem Zögern und gegen den Willen der Heimleitung macht sich Julie schließlich auf, um unter den Prostituierten, deren Vans an der nahe gelegenen Nationale 7 stehen, eine geeignete Gespielin für René zu finden. Denn René hat nicht nur bestimmte Ansprüche an das Aussehen („große Airbags und straffe Schenkel“), zudem muss der Wagen der Liebesdienerinnen auch noch für die Aufnahme von Renés Rollstuhl geeignet sein. Als schließlich in Gestalt der Hure Florèle eine geeignete Liebesdienerin gefunden ist, hat der Akt und die Lösung von Renés Problem auch für die anderen Heimbewohner ungeahnte Folgen. Und selbst Julie, die kurz davor ist, sich in den selbstgefälligen und allergischen Psychologen Jacques (Julien Boisselier) zu verlieben, findet dann doch noch dass große Glück mit dem einfachen Hausmeister Roland (Lionel Abelanski). Ende gut, alles gut.

Klar, die Kombination aus DV-Handkamera, authentischen Sets (gedreht wurde in einem echten Behindertenheim mit echten Patienten als Nebendarsteller) die Kombination der beiden Themenbereiche Behinderung und Sexualität lässt unweigerlich an die Dogma-Filme und insbesondere an Lars von Triers Idioten / Idioterne denken. Doch jenseits der hyperrealistischen Bildästhetik verschwinden die Gemeinsamkeiten zwischen dem Franzosen und dem Dänen schnell wieder: Statt des ätzenden Zynismus von Triers glaubt Sinapi offensichtlich noch an das Gute im Menschen und schenkt nach vollzogenem Coitus René und mit ihm allen Heimbewohnern und Pflegen ihren Seelenfrieden. Nach so viel Realismus und treffender Schilderung der Probleme Behinderter erscheint die schlussendliche Lösung dann doch ein wenig einfach und banal. Und Hand aufs Herz: Die Erkenntnis, dass Kranke und Gesunde, Patienten und Pflegepersonal die gleichen Probleme haben, ist nun wirklich nicht so neu. Formal ein interessanter Film, der aber inhaltlich manches zu wünschen übrig lässt.

Uneasy Rider

Die Autoroute Nationale 7, die Charles Trenet einst in einem berühmt gewordenen Schlager besang, den später die belgische Band The Honeymoon Killers zu einiger Berühmtheit brachte, ist so etwas wie die Traumstraße der Franzosen.
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Meinungen

Ritchie Ritter · 16.11.2018

Unterhaltsamer Film mit einem wichtigen Themenschwerpunkt :)

Man sollte manches mit Humor nehmen. Ich finde dennoch dass der Film viele Einblicke bietet. Natürlich haben auch Behinderte eine Sexualität!