Die rote Wüste (1964)

Eine Filmkritik von Mike Swain

Mit der Kamera gemalt

Feuer speiende Schlote ragen in den Himmel, Turbinen speien Dampf in die graue Tristesse einer industrialisierten Landschaft, im Nieselregen stehen Streikende entlang der Mauer einer Fabrikanlage. Durch den Matsch einer Zufahrtsstraße irrt geradezu eine junge Frau mit einem kleinen Kind. Ihr Mantel, in leuchtendem Grün, ist der einzige Farbtupfer inmitten der allumfassenden Trostlosigkeit. So beginnt Michelangelo Antonionis (Blow up) Film Die rote Wüste.

Die Handlung von Die rote Wüste lässt sich schnell zusammenfassen. Giuliana (Monica Vitti), die Ehefrau eines Ingenieurs, leidet nach einem Unfall an Angstzuständen. Zunehmend entfremdet sie sich von ihrem Mann und ihrem kleinem Sohn, während gleichzeitig ihre technisierte Umwelt ihr immer stärker das Gefühl einer zunehmenden Bedrohung und Beklemmung vermittelt. Als letzten Fluchtversuch vor ihren eigenen Gefühlen, beginnt sie eine Affäre mit einem Kollegen (Richard Harris) ihres Mannes, der sichtlich fasziniert ist von ihrer Schönheit und der geheimnisvollen Aura, die sie umgibt. Doch auch dieser Weg bietet ihr letztlich kein Entrinnen aus der düsteren Welt ihrer Gedanken.

1964 erhielt Antonioni erstmals die Gelegenheit, einen Film in Farbe zu drehen und nutzte das für ihn neue Medium sogleich mit der formalen Strenge, die auch seine Vorgängerfilme wie Die mit der Liebe spielen (1959), Die Nacht (1960) und Liebe 1962 (1961) auszeichnet. Für Antonioni war die Farbe nicht das Mittel einer „realeren“ Abbildung der Umwelt, sondern ein expressives Werkzeug, das er ähnlich einem Maler, verwendet, um die Gefühle von Giuliana darzustellen und zu vermitteln. So verwendet der Regisseur eine radikale und strikte Farbdramaturgie, die Giulianas Welt umso surrealer und bedrohlicher erscheinen lässt. Antonioni sagte selbst, er wolle „Film bemalen wie eine Leinwand“ und sich nicht auf das Abfilmen der Natur beschränken. Eine Absicht, die er vollständig umsetzen konnte, denn tatsächlich finden sich in Die rote Wüste immer wieder Motive und Einstellungen, die wie großartige, wenn auch Furcht erregende Gemälde wirken.

Thematisch bleibt Antonioni den Themen seiner vorherigen Werke treu. Auch Die rote Wüste rückt die Unmöglichkeit menschlicher Beziehungen in einer technokratischen Welt, die gekennzeichnet ist vom Verlust der Kommunikationsfähigkeit, in den Mittelpunkt – eine Welt ohne soziale oder emotionale Bindungen. Und wie in seinen vorherigen Werken liefert Antonioni keinen Erklärungsansatz oder gar Ausweg. Die Isolation des Individuums ist im Industriezeitalter vollständig und kann nicht durchbrochen werden.

Die rote Wüste ist nicht so sehr ein erzählerisches Werk als vielmehr die Umsetzung von Emotion und Gefühl auf Zelluloid — ein Film, den der Betrachter mitfühlt und mitspürt.

Der DVD liegt eine mit Sorgfalt restaurierte Filmkopie zugrunde, die für brillante Farben und eine hohe Bildschärfe sorgt. Grade bei diesem gemäldeartigen Film eine nahezu unerlässliche Grundlage für das Verständnis. Auch der Ton und vor allem die sphärenartigen Klänge, Antonioni verzichtet auf Musik im herkömmlichen Sinne, sowie die industrielle Geräuschkulisse, werden ausgezeichnet wieder gegeben.
 

Die rote Wüste (1964)

Feuer speiende Schlote ragen in den Himmel, Turbinen speien Dampf in die graue Tristesse einer industrialisierten Landschaft, im Nieselregen stehen Streikende entlang der Mauer einer Fabrikanlage.

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