Marie Antoinette (2006)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Sex and Drugs and Rokoko

Als Sofia Coppola auf Filmfestspielen von Cannes ihren nunmehr dritten Film Marie Antoinette der Öffentlichkeit vorstellte, war die Spannung groß. Kein Wunder, war doch der Vorgänger Lost in Translation einer der ganz großen Kinoerfolge der letzten Jahre gewesen. Doch statt Jubelstürmen waren an der Croisette Pfiffe und Buhrufe zu hören – was war geschehen? War das gewohnt kritische Festivalpublikum wieder einmal Zeuge vom schnellen Aufstieg und noch schnelleren Fall eines hochgepushten jungen Regietalents geworden? Oder hatte sich die junge Amerikanerin mit dem wohlklingenden Namen schlicht an ihrem europäisch geprägten Stoff verhoben? Nichts da, der Alten Welt war lediglich der respektlose Umgang mit einer verblichenen Monarchin dann doch ein wenig zu nassforsch — republikanische Gesinnung hin oder her. Doch was die kulturelle Elite entsetzt, ist durchaus dazu angetan, beim Publikum für Entzücken zu sorgen – zumal hier alte Zöpfe und Puderperücken durchaus erfrischend abgeschnitten und entstaubt werden. Ein klassischer Historienschinken jedenfalls sieht anders aus.

Die österreichische Prinzessin Marie Antoinette (Kirsten Dunst) wird von ihrer Mutter, der Kaiserin Maria Theresia (Marianne Faithfull) aus machtpolitischen Erwägungen mit Louis-Auguste (Jason Schwartzman), dem späteren Ludwig XVI. von Frankreich verkuppelt und muss als Gattin des zukünftigen französischen Königs ihre Heimat hinter sich lassen und an den Hof von Versailles ziehen. Die gerade mal Vierzehnjährige hat zunächst Schwierigkeiten, mit dem Leben bei Hofe zurechtzukommen, zumal der werte Gatte lieber der Jagd als seinen ehelichen Pflichten frönt. Kein Wunder also, dass die exzentrische und kindliche Marie Antoinette bald schon Vergnügungen ganz anderer Art sucht. Damals wie heute – so geht die Mär – ist Shopping und pure Prasserei immer noch das beste Rezept gegen Unbilden in Liebesdingen, und so lässt sich auch die verwöhnte Regentin in spe nicht lumpen. Im Elfenbeinturm Versailles’ verliert Marie Antoinette schnell jegliches Maß, das sie auch nicht wiedergewinnt, als sie nach dem Tod von Louis-Augustes Vater zur Königin wird. Der Druck wächst noch mehr, denn das Land braucht dringend einen Thronfolger, nur hat der König herzlich wenig Lust, der Fremden an seiner Seite beizuwohnen, zumal jeder Schritt – vom morgendlichen Anziehen bis zum königlichen Verkehr — vom gesamten Hofstaat beobachtet wird. Als es Marie Antoinette nach einigen Anläufen endlich gelingt, ihrer Gebärpflicht nachzukommen, kann sie sich Freiräume schaffen, in denen sie schließlich sogar so etwas wie Liebe erlebt – allerdings nicht in den Armen ihres königlichen Gemahls. Das Glück währt so lange, bis die Erschütterungen der Französischen Revolution Marie Antoinettes rauschhaftem und kapriziösem Popstar-Dasein ein jähes Ende bereiten.

Wenn es in Sofia Coppolas bisherigen Filmen The Virgin Suicides, Lost in Translation und nun eben Marie Antoinette ein verbindendes Element gibt – und die Regisseurin selbst bezeichnet die Filme stets als Trilogie –, dann ist das mit Sicherheit eine gewisse Ähnlichkeit in der Anlage der Hauptperson. In allen drei Fällen ist dies eine junge Frau, noch fast ein Mädchen, die sich innerhalb der Gesellschaft, die sie umgibt, durchsetzen und ihren eigenen Weg finden muss. Es sind die Andeutungen eines Gefühls der Verlorenheit, das Oszillieren zwischen Rebellion und Anpassung, die den Filmen eine gemeinsame emotionale Basis geben. Doch die Qualitäten Sofia Coppolas finden sich nicht allein in der treffenden Beschreibung der Lebenswelt junger Frauen, sondern auch in der Schilderung des Spannungsverhältnisses von Individuum und rigider Umwelt – ein Thema, dass die Filme obwohl sie stets in einem eng definierten Zeitraum angesiedelt sind, in gewisser Weise zeitlos und universell gültig macht. In Marie Antoinette ist der Regisseurin dies durch einen simplen Kunstgriff gelungen: Durch ihre Art der Inszenierung, durch die Verknüpfung der visuellen Reize des 18. Jahrhunderts mit moderner Popmusik von The Cure, The Strokes, New Order oder Aphex Twin verbindet sich das Lebensgefühl jener untergegangenen Zeit auf sehr smarte Weise mit dem heutigen Popzirkus und Celebrity-Kult, wird aus einer entrückten Prinzessin ein Popstar unter ständiger Beobachtung –exzentrisch, versponnen und zutiefst einsam. Und so ist Marie Antoinette in weitaus höherem Maße ein Gleichnis auf die moderne Mediengesellschaft als ein minutiös rekonstruierter Historienfilm. Kein gänzlich gelungener Film, aber auf jeden Fall ein sehr interessanter Ansatz mit teilweise brillanten Szenen.
 

Marie Antoinette (2006)

Als Sofia Coppola auf den Filmfestspielen von Cannes ihren nunmehr dritten Film Marie Antoinette der Öffentlichkeit vorstellte, war die Spannung groß.

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Meinungen

Martin Zopick · 03.06.2023

Ein äußerst handlungsarmer Streifen, bei dem anscheinend nur großen Wert auf die aufwendigen Kostüme gelegt wurde. Die Darstellung der steifen Hofetikette nimmt weiten Raum ein, wobei die sich wiederholenden Anlässe eine gewisse Monotonie verbreiten. Die Anlehnung an historische Korrektheit – hier der Vorabend der Französischen Revolution – ist eigentlich bedeutungslos. Und wenn man es schafft, sich das höfische Treiben längere Zeit anzuschauen, wird man durch Heavy Metal wachgedröhnt. Das ist ebenso unpassend wie die gesungenen Arien akustische Schmerzen bereiten.
Und wenn wirklich was passiert und der Dauphin schafft es die Ehe zu vollziehen, geht es im Stakkato-Tempo: völlige Dunkelheit – Kirsten Dunst stöhnt kurz auf – Geburtsschrei des Thronfolgers – fertig.
Ein Film, den die Welt nicht braucht und für den die Bezeichnung Kostümschinken noch geschmeichelt wäre. Oh Sofia, was hast du dir nur dabei gedacht!? Falls beabsichtigt als progressive Adaption, dann ist es eine amerikanische Geschmacksverirrung überster Sorte. Sophia kann es wirklich besser!