Santa Sangre (1989)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Underground-Film mit Eiern

„Die meisten Filmemacher machen Filme mit ihren Augen. Ich mache Filme mit meinen Eiern“, soll der chilenische Filmemacher Alejandro Jodorowsky einmal gesagt haben. Jodorowsky, 1929 in Chile geboren, zählt zu den großen Ausnahmeerscheinungen des Kinos, ein radikaler und verstörender Künstler, der fern jeglicher Anbiederung an das Mainstream-Kino seit Jahrzehnten Werke von befremdlicher Schönheit und Atem beraubender Kühnheit entwirft. Bekannt sind vor allem seine beiden Filme El Topo (1970) und La Montana Sagrada (1973), weniger bekannt allerdings dürfte sein, dass Jodorowsky eigentlich dazu ausersehen war, Frank Herberts Roman Der Wüstenplanet zu verfilmen – mit Gloria Swanson, Salvador Dali und Orson Welles, einer Filmmusik von Pink Floyd und dem Setdesign von H.R. Giger. Leider scheiterte der ehrgeizige Plan für das Zehn-Stunden-Opus, so dass schließlich David Lynch die Regie zu dem Film übernahm, der schließlich als Dune zu sehen war. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen genießen Jodorowskys Filme bei Freunden des schrägen Films ausgesprochenen Kultstatus.

1989 feierte Jodorowsky nach einer langen künstlerischen Pause mit Santa Sangre, seinem vielleicht zugänglichsten Werk, ein Comeback, das kaum einen Zweifel daran ließ, dass der Meister des Surrealen nichts an seiner Imaginationskraft eingebüßt hatte.

Santa Sangre spielt in Mexiko, zu einer Zeit, als Verunsicherung und politisches Chaos das Land beherrschen. Fenix lebt gemeinsam mit seinen Eltern Orgo und Concha bei einem Wanderzirkus, der teilweise eher einer Freakshow und einem Monströsitätenkabinett ähnelt. Der Messerwerfer Orgo ist ein Mann voller unbändiger Virilität, während Concha eine seltsame Kirche gegründet hat, in der eine geschändete Frau angebetet wird. Als Orgo sich mit einer tätowierten Artistin einlässt, kommt es zur Katastrophe. Concha attackiert ihren Mann und verätzt dessen Genitalien mit einer Säure, woraufhin dieser seiner Frau die Arme abschneidet und sich anschließend selbst richtet – all dies unter den Augen ihres Sohnes. Der wird durch das Ereignis so schwer traumatisiert, dass er die nächsten Jahre in einer psychiatrischen Anstalt verbringen muss. Und selbst als er nach langen Jahren entlassen wird, erweist sich der Weg zurück ins normale Leben als schwerer Gang…

Bildgewaltig, verstörend, symbolschwer, überfrachtet mit Verweisen und Andeutungen und mit Konflikten wie aus den Urzeiten der Psychoanalyse, präsentiert sich Santa Sangre als ganz und gar ungewöhnliches Werk, das allerdings im Vergleich zu den früheren Filmen am leichtesten verständlich sein dürfte. Trotzdem: Mit herkömmlichem Erzählkino hat Santa Sangre herzlich wenig zu tun, es ist eine Übung in Exzentrizität und außerordentlichem Gestaltungswillen, ein Film, der sich trotz zahlreicher Querverweise letztendlich nur mit den anderen Werken Jodorowskys vergleichen lässt. Für Freunde des Bizarren allemal empfehlenswert.

Wie die Gazetten melden, plant Jodorowsky trotz seiner mittlerweile 78 Jahre für dieses Jahr einen neuen Film mit dem Titel King Shot, bei dem Nick Nolte und Marilyn Manson mitwirken sollen. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass solche Ankündigungen bei Jodorowsky mit Vorsicht zu genießen sind. Doch wer Santa Sangre in seiner heimischen DVD-Sammlung weiß, der wird die Zeit bis zum nächsten Film des Enfant Terrible des Kunstkinos ohnehin auf angenehme Weise verbringen können.
 

Santa Sangre (1989)

„Die meisten Filmemacher machen Filme mit ihren Augen. Ich mache Filme mit meinen Eiern“, soll der chilenische Filmemacher Alejandro Jodorowsky einmal gesagt haben.

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