Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1972)

Eine Filmkritik von Jean Lüdeke

Ein Kammerspiel

Deutschlands Regie-Enfant-Terrible, Rainer Werner Fassbinder inszenierte seinen Film Die bitteren Tränen der Petra von Kant wie ein Bühnenstück in fünf klar voneinander unterscheidbaren Akten, und tatsächlich hatte er das Kammerspiel ursprünglich fürs Theater geschrieben. Margit Carstensen spricht denn auch bewusst theatralisch. Alle fünf Akte spielen in Petra von Kants Wohnatelier; kein einziges Mal verlässt die Kamera diesen Raum. Die Zahl der Schnitte ist minimal und beim einzigen Mann im Zimmer-Drama, geht es um Bacchus, der nackt auf einem riesigen Wandgemälde von Nicolas Poussin (1594 — 1665) abgebildet ist.

Die Modedesignerin Petra von Kant (Margit Carstensen) hat Besuch. Ihre Freundin Sidonie von Grasenabb (ein Name, den Fassbinder Fontanes Effi Briest entliehen hat, gespielt von Katrin Schaake) hört sich an, wie die Trennung zwischen Petra und ihrem zweiten Mann Frank verlief. Ihr Erfolg habe Frank eifersüchtig gemacht, und sie habe sich vor ihm immer stärker geekelt, weil Frank seine Gefühle der Ohnmacht in der Sexualität durch Macht zu kompensieren versucht habe. Petra trägt einen weißen Morgenmantel und eine schwarze Perücke. Sidonie hat eine Frisur wie Frauen in den 20er Jahren, schwarze, glatte, in die Stirn gelegte Haare und trägt eine Pelzstola. Die Szene wirkt grotesk, wie eine Karikatur, in der Frauen aus den 70er Jahren in einer Mischung aus Kitsch und Kunst eine Szene aus den 20er Jahren darstellen würden. Nichts passt in diesem Ensemble zueinander, weder Farben, Gegenstände der Einrichtung oder gar die beiden Frauen. Und doch passt irgendwie doch alles, wenn man den beiden zuhört…

Die bitteren Tränen der Petra von Kant ist beileibe keine Studie über lesbische oder bisexuelle Liebe, nicht einmal nur über Frauen, obwohl in dem Film kein einziger Mann auftaucht, nur eben jener auf dem Gemälde von Poussin. Doch dieser Mann ist wichtig. Das Bild des Nackten vermittelt die permanente Anwesenheit des Männlichen, des Herrschsüchtigen, der Macht und der Gewalt Vor diesem Gemälde spielen sich etliche Szenen des Films ab, nicht umsonst.

Der von Michael Ballhaus gedrehte Film handelt auch nicht „einfach“ von den Besitzansprüchen einer bürgerlichen Frau. Fassbinder wollte immer mehr: Was in seinen späteren Filmen wie Lili Marleen, Die Ehe der Maria Braun, Lola, und Die Sehnsucht der Veronika Voss ausgebreitet wird, deutet sich schon hier an. Es ist die Spur zurück in die deutsche Geschichte, die Fassbinder verfolgt, genauer: die Geschichte seines ungeliebten Bürgertums.
 

Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1972)

Deutschlands Regie-Enfant-Terrible, Rainer Werner Fassbinder inszenierte seinen Film Die bitteren Tränen der Petra von Kant wie ein Bühnenstück in fünf klar voneinander unterscheidbaren Akten.

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