Sie leben! (1988)

Eine Filmkritik von Martin Beck

Bubblegum, Gehorsam und Gott

Nein, in einer Liga mit Halloween oder The Thing ist Sie leben nicht. Für den letzten wirklich großen, weil „typischen“ John-Carpenter-Film reicht es aber trotzdem. Danach dann gab es unpersönlichen Mainstream à la Jagd auf einen Unsichtbaren oder gleich — Stichwort Escape from L.A. — porentiefen Schrott. Egal wie zahlreich die Gründe dafür waren, bei Sie leben mussten sie noch nicht herhalten. Man hatte den Eindruck, dass der obligatorische Namenszusatz im Titel noch eine Berechtigung besaß.

Der Beweis dafür wird nach ungefähr 30 Minuten angetreten, als John Nada (Roddy Piper) das erste Mal eine geheimnisvolle schwarze Sonnenbrille aufsetzt und damit in eine farblose Parallelwelt blickt. Überall erscheinen sublime Botschaften, wie zum Beispiel „OBEY“ oder „DO NOT QUESTION AUTHORITY“, und einige Menschen entpuppen sich auf einmal als außerirdische Fratzen mit Perücken und Glubschaugen. Die Erde wurde von Aliens übernommen und keiner hat es gemerkt. Zwar sieht äußerlich alles gleich aus, doch jede Rezeption von Umwelt löst eine Gehirnwäsche aus.

Sie leben basiert auf der Kurzgeschichte 8 o’clock in the morning von Ray Nelson und bietet eine reizvolle Variation klassischer Invasionsparanoia. Die Außerirdischen sind schon längst da und wirken lieber im Hintergrund, ohne offenen Kampf, mit unterschwelligen Botschaften. Ganz ähnlich wie bei Matrix geht es auch hier um die Welt hinter der Welt, durchaus plakativ vorgeführt mit Schwarzweiß-Bildern und drastischem Alien-Make-Up. Carpenter wollte wohl seinen ganz eigenen Kommentar zur Reagan-Ära abliefern, doch eigentlich ist diese Thematik auch heute noch gültig.

Fast verwundert es, dass Sie leben noch kein Remake erfahren hat, dann könnte man doch auch die vielerorts angeprangerten Schwachstellen ausbügeln. Wem zum Beispiel entgeht, dass der Film auch eine Komödie sein möchte, könnte sich an der hölzernen Mimik von Roddy Piper aufziehen. Der Mann spielt einen etwas langsamen Hilfsarbeiter, der die durch die Brille gewonnenen Erkenntnisse mit einer urtypischen amerikanischen Tugend beantwortet: roher, brachial eingleisiger Gewalt, verziert mit legendären Sprüchen à la „I am here to chew bubblegum and kick ass – and I’m all outta gum.“

So richtig tiefsinnig ist das eher nicht, auch was den zentralen Faustkampf mit Keith David angeht, der einfach nicht enden mag, doch trotzdem funktioniert diese Mischung aus Proll und Science Fiction, Action und Satire ganz prächtig. Wie so oft bei John Carpenter sind es gerade einfache Stilmittel, wie der Schwarzweiß-Sprung oder der erneut bassig wummernde Score, geschrieben von Carpenter und Alan Howarth, die die Zuschauer direkt packen und dann nicht mehr loslassen. Der Mann hat ein begnadetes Talent, Geschichten auf den Punkt zu bringen und sie sowohl über den Bauch als auch den Kopf wirken zu lassen.

Sie leben besitzt das gewisse Carpenter-Etwas, das man wirklich nur schwer beschreiben kann, sondern einfach spürt, vor allem als Fan – der dann auch sofort erkennt, dass die Handschrift des Regisseurs hier noch erfreulich stark ausgeprägt war. Doppelter Achtziger-Jahre-Käse, blonde Vokuhila-Sünden und kleine, sich drehende Funkschüsseln auf Ampeln: Sie leben ist ein eigensinniger Genreklassiker, der inzwischen bei der dritten Blu-Ray angekommen ist. Nach einem selbstverständlich überteuerten Mediabook und einer regulären Blu-Ray hat Studiocanal nun einfach ein neues Cover (von Tom Hodge) verwendet, den „Book“-Teil des Mediabooks als Booklet erneut aufgelegt und ansonsten alles beim Alten gelassen – auch bezogen auf die üppige Bonusabteilung, die unter anderem einen Audiokommentar, ein Making Of und zwei Interviews enthält. Zumindest für Neulinge gilt: „CONSUME“!

Sie leben! (1988)

Nein, in einer Liga mit „Halloween“ oder „The Thing“ ist „Sie leben“ nicht. Für den letzten wirklich großen, weil „typischen“ John-Carpenter-Film reicht es aber trotzdem. Danach dann gab es unpersönlichen Mainstream à la „Jagd auf einen Unsichtbaren“ oder gleich — Stichwort „Escape from L.A.“ — porentiefen Schrott.

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