Hausu

Eine Filmkritik von Simin Littschwager.

Oder: Killerpiano frisst Schülerin

Die meisten Unfälle passieren im Haus(halt) – Gefahren lauern dort, wo man sie nicht vermutet. Und mitunter lauern dort auch Gefahren, wie man sie nicht vermutet: ein gefräßiges Klavier, eine Telefonschnur mit einer Vorliebe fürs Würgen, mordlüsterne Schlacht-Kissen und eine weiße Perserkatze mit übernatürlichen Kräften…
In der Reihe Nippon Classics von Rapid Eye Movies erscheint nun mit Hausu/House des japanischen Regisseurs Nobuhiko Obayashi ein absolut schräger und fantasievoller Film auf DVD, der auf eine einzigartige Art den schmalen Grat zwischen Kunstwerk und Trash beschreitet. Die Einflüsse der bonbonbunten 70er Jahre sind unverkennbar, doch dieser erste Langfilm des damals noch jungen Filmemachers zeugt von einer filmischen Experimentierfreude gepaart mit einer gehörigen Portion Ironie, die Hausu/House auch nahezu 40 Jahre nach seiner Entstehung zu einem visuellen Erlebnis werden lassen. Bisher eher ein Insider-Tip, hätte dieser Film von 1977 durchaus das Potential, in den Kultstatus erhoben zu werden.

Die Geschichte selbst ist schnell erzählt: Oshare (Kimiko Ikegami), im knackigsten Teenageralter, trauert nach wie vor um ihre verstorbene Mutter und weigert sich, mit ihrem Vaters und ihrer Stiefmutter in Spe in Urlaub zu fahren. Stattdessen überredet sie sechs Schulfreundinnen, gemeinsam mit ihr die Ferien bei ihrer Tante (Yôko Minamida) zu verbringen, die in einem großen Haus auf dem Land lebt. Doch diese Tante hat merkwürdige Angewohnheiten. So verschwindet sie bisweilen im Kühlschrank oder redet mit dem Backofen. Auf seltsame Art und Weise ist sie mit ihrem Haus verbunden, in dem sie seit ihrer Jugend lebt und mit dem es eine schaurige Bewandtnis auf sich hat: Es ist beseelt und äußerst blutdürstig. Und es ernährt sich – na, von was wohl? Von Jungfrauen…

Was hier nach einem ultra-trashigen Horrorfilm klingt, ist zwar in Wahrheit noch viel schlimmer – doch als Gesamtwerk ziemlich großartig: Splattertrash und Märchenkitsch zugleich, surrealistischer Trip und gnadenlos überzogene Parodie in einem, einerseits brutal makaber und andererseits romantisch, denn neben zahlreichen abgetrennten Gliedmaßen findet sich immer wieder die Geste der Sehnsucht. Der Soundtrack besteht mal aus melancholischen Melodien mit Musikfilmanleihen, mal aus Spieldosenmusik, und gelegentlich werden Musik-im-Film und Filmmusik auch gnadenlos gleichzeitig gespielt. Hausu/House ist ein Hybridfilm, der vor Ideenreichtum nahezu den Leinwandrahmen sprengt. Das wirklich Originelle an diesem visuellen Kunstwerk sind die unzähligen filmischen Ideen, Tricks und Techniken, die zum Einsatz kommen, wie beispielsweise Split-Screen- und Morphing-Verfahren, Slow-Motion, Jumpcuts, Trickblenden und surreale farbenfrohe Matte-Paintings, um nur einige zu nennen. Neben Buch- und Comic-Elementen und lebendigen Fotografien wird in einer der schönsten Sequenzen des Films die Geschichte von Oshares Mutter und ihrer Tante als Film im Film inszeniert, und zwar als stilechter Stummfilm mit Zwischentiteln, in den jedoch plötzlich (nachträglich eingefügte) Farbe sickert.

Das einzig Bedauerliche an diesem Film ist der gewisse Mangel an Suspense auf der narrativen Ebene, da ab einem gewissen Punkt relativ klar ist, dass alle Sieben dran glauben müssen, wenn auch nicht auf einen Streich. Es ist offensichtlich, dass der zur Rettung in einer Art Spielzeugauto anreisende Lehrer Togo der ihm angedachten Rolle als Märchenprinz auf weißem Pferd, großartig visualisiert als Pseudo-Hollywood-Ende mitten im Film, nicht gerecht werden wird. Insgesamt verhindern die parodistischen Elemente von Hausu/House ein schaurig-spannendes Horrorfilmgefühl, stattdessen überwiegt die Neugierde, welch aberwitziger Einfall der nächste sein wird. Gleichzeitig lässt dieser in allen Teilen stilisierte Film allerdings auch leicht eine reflexive Lesart zu, nach der jede der Protagonistinnen, die telling names wie etwa Melodi, Kunfuu, Fanta(sie) tragen, eines der wesentlichen Elemente des Films repräsentiert und Opfer ihrer spezifischen Sehnsucht wird, bis eine nach der anderen von Hausu, dem Haus, verschlungen und damit zu einem Teil von ihm geworden ist – zuletzt die Fantasie.

Hausu

Die meisten Unfälle passieren im Haus(halt) – Gefahren lauern dort, wo man sie nicht vermutet. Und mitunter lauern dort auch Gefahren, wie man sie nicht vermutet.
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