Jetzt.Nicht. (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Es gibt kein richtiges Leben im falschen

Alt sind immer nur die anderen – was sich zu Beginn wie ein Vorgriff auf den Film selbst ausnimmt, ist natürlich nur eine Finte: Die Männer jenseits der 50, die hier in die Kamera sprechen, geben Testimonials für eine neue Anti-Aging-Creme, die Walter Stein (Godehard Giese) aus der Marketing-Abteilung eines Kosmetikherstellers seinen Kollegen vorstellt. Und aus ihren Aussagen spricht, wenn man genau hinhört, auch die Angst, selbst bald zum alten Eisen zu gehören. Dagegen hilft nämlich, wenn man ganz ehrlich ist, auch keine Creme gegen die Tränensäcke und Sorgenfalten, die sich in die Gesichter eingeschrieben haben. Doch Stein und seine Kollegen sind gegen solche Zwischentöne und Subtexte immun – ihnen geht es um den Erfolg des neuen Produkts und damit um das eigene Vorankommen. Und so sind sie blind – oder zumindest ignorant – gegenüber den Subtexten, die ja eh nur alle anderen betreffen. Aber niemals sie selbst.

Bis es dann einen von ihnen erwischt: Ohne erkennbaren Grund und erst recht ohne Erklärung (außer „eine tragische Verkettung von hausgemachten Umständen“, was natürlich alles oder viel eher auch nichts bedeuten kann) wird Stein eines Tages entlassen. Ein Schlag vor den Kopf des erfolgsverwöhnten Managers, der auch durch den Auflösungsvertrag, den sein Unternehmen für ihn aufgesetzt hat, nicht abgemildert wird. Und selbst der Trost und die Ratschläge seiner Frau Nicola (Loretta Pflaum) vermögen nicht die Schmach vergessen machen, die sich tief in das erodierende Selbstbewusstsein des Mannes hineingräbt. Seine diversen und stets überaus diskreten Kontaktaufnahmen bei Konkurrenzunternehmen, bei denen er sich keine Blöße geben will, bleiben ebenso folgenlos wie ein Coaching, in dessen Verlauf Stein auf die Frage, was ihn neben seinem Beruf noch begeistere, lediglich mit beredtem Schweigen antworten kann. Doch dann begegnet Stein per Zufall dem Geschäftsmann Anton Schneider (Roland Kukulies), der aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein scheint wie er selbst. Und als der einen Herzanfall erleidet und verstirbt, erkennt Walter die scheinbare Gunst des Augenblicks und nimmt die Identität des Toten an, der sich gerade auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch befand. Eine spontane Entscheidung mit Folgen …

Männer in der Sinnkrise sind gerade in den vergangenen Jahren immer wieder Thema, im Frühling erst schlüpfte Josef Hader in seinem Regiedebüt Wilde Maus in eine prinzipiell recht ähnliche Rolle, konzentrierte sich dabei aber eher auf die komischen Aspekte und die lächerlichen Seiten eines Mannes im besten Alter, dem plötzlich die Arbeit und damit der Lebenssinn abhanden kommen. Julia Keller steht der Sinn freilich nicht nach solchen Humoresken, bis auf eine eher surreal wirkende Szene ist Jetzt. Nicht. jegliche Komik ausgetrieben. Stets mit einem Bein über dem Abgrund schwebend balanciert Walter Stein auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und tiefster Depression, immer wieder scheint er kurz vor der Explosion zu stehen, auch wenn sein Gesicht nur selten Gefühlsregungen verrät.

Still und leise (dies fällt besonders auf, weil der Film völlig auf dramatisierende Musikuntermalung verzichtet, sofern diese nicht unmittelbar zu der Szene gehört) und mit teilweise sehenswerten Cinemascope-Bildern erschafft Julia Keller einen unterkühlten Seelenraum, der sich aufgrund des somnambulen Verhaltens von Walter Stein stets ein wenig anfühlt wie eine (Alb-)Traumwelt, aus der es für ihn kein Entkommen gibt. Die kurze Passage, in der er und seine Frau von einem anderen Leben reden, das so ist, wie sie es sich früher einmal vorgestellt haben, ist lediglich eine Illusion. Ein Entrinnen aus den spätkapitalistischen Systemzwängen scheint unmöglich, ja vielleicht nicht einmal mehr denkbar zu sein.
 

Jetzt.Nicht. (2017)

Alt sind immer nur die anderen – was sich zu Beginn wie ein Vorgriff auf den Film selbst ausnimmt, ist natürlich nur eine Finte: Die Männer jenseits der 50, die hier in die Kamera sprechen, geben Testimonials für eine neue Anti-Aging-Creme, die Walter Stein (Godehard Giese) aus der Marketing-Abteilung eines Kosmetikherstellers seinen Kollegen vorstellt. Und aus ihren Aussagen spricht, wenn man genau hinhört, auch die Angst, selbst bald zum alten Eisen zu gehören.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Olaf · 01.10.2023

Der Film hat mir sehr gefallen. Ist man nicht so in der spätkapitalsitischen Brillenperspektiver gefangen, könnte man sich vorstellen, dass es tatsächlich eine Möglichkeit gibt, etwas anders zu machen...
Wie zum Beispiel einfach einmal Klavier zu spielen, wie man es früher gemacht hat. Diese Szene fand ich sehr schön. Meine Frage dazu: wie heißt das Klavierstück, das Walter fast am Ende des Film auf dem Klavier spielt? Kannst du mir das sagen? Mit Gruß...