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Vom Glück zu leben: Ein Dokumentarfilm über schwerkranke Kinder.

Kleine Helden (2016)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Mehr als Verbandszeug und Kotzerei

Das sind ganz normale Kinder. Ambre, Camille, Charles, Imad und Tugdual gehen zur Schule, streiten sich ein wenig mit ihren Geschwistern, verbringen Zeit im Garten oder im Kinderzimmer, lieben das Tanzen oder die Feuerwehr und sind außerdem recht viel im Krankenhaus. Anne-Dauphine Julliand streicht in ihrem Debütfilm „Kleine Helden“ nicht lange um den heißen Brei herum: Diese Kinder sind richtig krank, lebensbedrohlich, auf jeden Fall blicken sie alle einer ungewissen Zukunft entgegen.

Neuroblastom, kaputte Nieren, Epidermolysis bullosa („Meine Haut ist wie Pergament, ganz dünn“) – die Bandbreite ist groß, nicht alle Krankheitsbilder kennt man als medizinischer Laie wirklich. Aber um die Erkrankungen, Symptome und Folgen geht es hier auch allenfalls nur am Rande. Medizinische Experten kommen nicht zu Wort, auch Ärzte und Eltern sind im Grunde nur zu sehen, wenn und wie sie mit den Kindern interagieren. Julliand hat ihre Kamera genommen und hat die 5 Kinder begleitet, immer wieder, hat sie erzählen lassen von ihrem Leben, ihren Vorstellungen und Hoffnungen, natürlich auch von ihrer Krankheit, den Schmerzen.

Zwischendurch erzählen sie auch nichts, dann lässt das Kind seine Hände über die Pflanzen streichen, die im heimischen Garten gerade aus der Erde spitzen; später verzweifelt eines der Kinder wortlos an seinen Schmerzen am ganzen Körper. Dabei sind die Krankheiten immer mehr im Hintergrund sichtbar als dass sie vordergründig eine Rolle spielten: Natürlich bei den vielen Szenen in Krankenhäusern, aber auch wenn in der heimischen Küche eine ganze Batterie mit Verbandsmitteln und Medikamenten steht, und die Mutter morgens vor dem Frühstück erst einmal Spritzen aufzieht und die Ausrüstung für den Tag vorbereitet.

Ambre trägt immer einen Rucksack auf dem Rücken – am Anfang, erzählt sie, hat sie in der Schule gesagt, da seien Süßigkeiten drin; aber dann wollten alle anderen Kinder immerzu etwas abhaben. Aber wie viel erzählt man den anderen Kindern? Den eigenen Freunden? Was werden sie verstehen? Die von Julliand portraitierten Kinder sind zwischen 6 und 9 Jahren alt, im besten Grundschulalter, und trotzdem stellen sie sich schon solche komplexe Fragen: Was sie anderen zumuten können, auch wie andere ihre Situation wohl wahrnehmen könnten. Wie es ist mit der Aussicht, dass sie krank bleiben, vielleicht gar sterben könnten. „Für mich ist das nicht schwer. Ich weiß, für euch ist es schwer.“

Das klingt aus Kindermund ein wenig altklug – und macht aber zugleich deutlich, dass die Kinder durch ihre Krankheit, durch ihre Geschichte lernen mussten, auch mit dem Leid und den Erwartungen anderer umzugehen: Die Krankheit durchzieht und unterfüttert ihren Alltag.

Aber sie bestimmt ihn nicht allein. Die Kamera begleitet die Kinder, auch physisch meist auf Kinderaugenhöhe, aus der die Welt immer ein wenig zu groß geraten ist, eben gerade auch durch die sorglosen Teile ihres Alltags: in die Schule, beim Spiel, beim Besuch einer Werft oder einer Feuerwache. Oder dabei, wie Ambre Theater spielt, immer mit Rucksack. Ganz normale Kinder eben.

Der deutsche Verleihtitel Kleine Helden verschiebt das Narrativ auf eine populäre, aber durchaus ambivalente Perspektive: Als seien Menschen mit schweren Krankheiten „Helden“ – als habe der Kampf etwas mit Mut zu tun oder sei die Krankheit etwas, deren Bekämpfung sich aus eigener Kraft bewerkstelligen ließe. Dabei zeigt der Dokumentarfilm eher, mit welcher Gelassenheit die Kinder damit umgehen, dass sie selbst eher machtlos sind – und das aber nicht bedeutet, in Trübsal versinken zu müssen. Im Gegenteil, im Alltag, in den kleinen Dingen findet sich das Lachen. „Wer krank ist, hört nicht auf glücklich zu sein.“

Der Originaltitel Et les mistrals gagnants ist einem Chanson von Renaud Séchan entnommen, der nach drei Vierteln des Films das erste Musikstück ist, das im Film zu hören ist – ein melancholischer Blick auf Kindheitserinnerungen (bei den „Mistrals gagnants“ handelt es sich um eine Süßigkeit, an die sich der Sänger erinnert). Die Musik begleitet Szenen, in denen die Kinder mit dem Fahrrad unterwegs sind, sich frei bewegen können – und da scheint Julliand zum ersten (und fast einzigen Mal) eine erwachsene Perspektive durchzurutschen, die die Vergänglichkeit der Kindheit betrauert; sie leitet damit auch den Schluss des Films ein, in dem es durchaus darum geht, ob die Kinder womöglich bald sterben könnten.

Das Ende von Kleine Helden ist allerdings offen: Als Feier von Hoffnung, Lebensmut und Gelassenheit. Zum Bereitlegen von Taschentüchern wird vor allem Eltern kleiner Kinder dringend geraten.

Kleine Helden (2016)

Ambre, Camille, Charles, Imad und Tugdual sind zwischen sechs und neun Jahren alt — und sie sind krank. Sie machen sich kaum Gedanken darüber, was die Zukunft bringen mag, sondern leben im Hier und Jetzt. Anne-Dauphine Julliands Films zeigt die Welt aus der Sicht von Kindern und lehrt damit das Staunen.

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