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Eine faustdicke Überraschung bietet Blandine Lenoirs neuester Spielfilm: Eine Frau in den Wechseljahren, die nicht der Lächerlichkeit preisgegeben, sondern ernst genommen wird. Das ist im Kino weiterhin eine Ausnahmeerscheinung – und in diesem Fall eine äußerst einnehmende.

Madame Aurora und der Duft von Frühling (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In den Jahren des Wechsels

Man sollte sich nur nicht vom Titel täuschen lassen: Blandine Lenoirs „Madame Aurora und der Duft von Frühling“ verbirgt hinter der Fassade des französischen Feel-good-Films für die Frau um die 50 ein erstaunlich realistisches Bild, in dem die Wechselfälle des Lebens nicht auf die leichte Schulter genommen, aber dennoch mit viel Esprit und Optimismus vorgetragen werden. Vor allem Hauptdarstellerin Agnès Jaoui ist ein Glücksfall für diesen Film, der hinter der Fassade der Leichtigkeit jede Menge Vergnügen, aber auch nachdenkliche Momente bereitet.

Aurora ist eine Frau um die 50, die bereits einiges erlebt hat: Eine Scheidung, weil ihr Mann sich in eine jüngere Frau verliebt hat und deshalb nun auf ein Leben als Vater eines Kleinkindes zurückgeworfen worden ist, zwei Töchter, die eine schon aus dem Haus, die andere gerade dabei, flügge zu werden, dazu die Umstellungen im Hormonhaushalt, der plötzlich wilde Kapriolen schlägt und in den unpassendsten Momente Hitzewellen produziert, und das Elend im Job, wo sie sich als Bedienung in einer Bar mehr schlecht als recht herumschlägt und sich von ihrem enthusiastischen Chef als „Bienenkönigin“ titulieren lassen muss. 

Das ist zwar alles nichts Wildes, keine großen Schicksalsschläge, sondern eher die ganz kleinen Nervigkeiten des Alltags, die gerade wegen ihrer vermeintlichen Banalität vielen Zuschauer*innen bekannt vorkommen dürften. Das Problem bei all diesen Kleinigkeiten, die sich munter addieren, ist nur eine Frage, die sich in den Jahren um die 50 sowieso und von ganz alleine stellt: Und was kommt jetzt? Kommt überhaupt noch etwas? Oder ist es das schon gewesen?

Nun ist Aurora sicherlich keine Frau, die den Kopf in den Sand steckt. Zudem stehen ihr ihre beiden Töchter Lucie (Lou Roy-Lecollinet) und Marina (Sarah Suco), ihre beste Freundin Mano (Pascale Arbillot) und sogar eine freundliche Beraterin im Job-Center zur Seite. Und dann begegnet sie noch zufällig ihrer einstigen Jugendliebe Christophe (Thibault de Montalembert), der als Arzt an der Klinik des Städtchens am Meer arbeitet. Als Marina ihr eröffnet, dass sie schwanger ist, bietet sich nach dem ersten Schock, nun bald Oma zu werden, auch die Gelegenheit, Christophe bald wiederzusehen. Und dann ist da noch Hervé (Eric Viellard), mit dem sie eine Affäre beginnt … 

Statt Coming-of-age, also jener Zeit des Eintritts in die werberelevante Zielgruppe 19-49 Jahre, schildert Blandine Lenoir in ihrem „Coming-out-of-age“-Film das Verlassen ebenjener willkürlich gesetzten Lebensphase – und sie tut das mit viel verschmitztem Witz, der manchmal sogar ganz ohne Worte auskommt. Wenn Aurora mit ihrer Tochter beim abendlichen Zähneputzen gezeigt wird und die beiden mit vollen Mündern kommunizieren, versteht man zwar kein Wort, weiß aber dennoch instinktiv, welche Art von Dialog sich hier gerade entsponnen haben könnte. Auch andere Szenen funktionieren, ohne dass viel gesprochen würde — wenn etwa musikalische Intermezzi das Geschehen auf der Leinwand ironisch, aber umso treffender kommentieren. 

Auch wenn Aurora klar im Mittelpunkt des Films steht, so reicht Blandine Lenoirs Perspektive dennoch über sie hinaus: Vermittelt durch den Blick auf ihre beiden Töchter, aber auch durch berührende Begegnungen in einer Alters-WG, in der sie zu arbeiten beginnt, weitet sich der Blick und wird so am Ende gar zu einem Panorama weiblicher Probleme und Lösungsansätze dies- und jenseits eingespielter Muster und gesellschaftlich konformer Rollen.

Madame Aurora und der Duft von Frühling transportiert auf diese Weise nicht nur jede Menge Realismus, sondern auch eine gehörige Portion Mut und Neugier auf das Leben Ü50 – und das unter Verzicht auf platte Lebensweisheiten, aber mit viel Witz und einem feinen Gespür für Details und Zwischentöne.

Madame Aurora und der Duft von Frühling (2017)

Eine Filmkritik von Jelena Čavar

Kleine Schmetterlinge im Bauch

Es gab Phasen in Aurora Plous (Agnès Jaoui) Leben, die sicher einfacher waren als der Abschnitt, in dem sie sich jetzt wiederfindet. Die körperlichen Veränderungen erweisen sich als Vorboten der Wechseljahre, mit denen sie sich herumplagen muss. Beruflich geht es leider bergab. Mit dem neuen Eigentümer des Bistros kommt sie nicht zurecht, sodass sie prompt kündigt. Ihre älteste Tochter Marina (Sarah Suco) erwartet ein Baby, worüber sich die werdende Großmutter überhaupt nicht freuen kann. In Auroras Augen ist Marina für diesen wichtigen Schritt zu jung, aber Marina möchte, dass sich ihre Mutter freut – und so bekommt die eigentlich harmonische Mutter-Tochter-Beziehung einen kleinen Dämpfer.

Seit sie vom Vater ihrer beiden Töchter getrennt ist, sieht es um ihre amourösen Errungenschaften nicht allzu rosig aus. Als sie eines Nachmittags ihre Freundin Mano (Pascale Arbillot) bei einer Hausbesichtigung begleitet, trifft sie ganz unverhofft auf ihre Jugendliebe Totoche (Thibault de Montalembert). Beide fühlen sich mit einem Schlag zurückversetzt in ihre Teenagerzeit. Hinzu kommt, dass die Anziehung zueinander für beide nach wie vor immer spürbar ist. Zwischen der eigenen Jobsuche und den Dates mit Totoche bleibt der aufgeweckten Frau nicht viel Zeit zum Verschnaufen, schließlich muss sie auch für ihre beiden Töchter Marina und Lulu (Lou Roy-Lecollinet) da sein.

Wäre die Protagonistin in Madame Aurora und der Duft von Frühling ein Mann im selben Alter, fiele die Darstellung der Krise zum Lebensmittelpunkt gänzlich anders aus. So ein Film würde definitiv mehr Klischees und Stereotype bedienen. Aurora kauft sich keine Statussymbole, sie begibt sich auf keine Odyssee. Der Film begleitet Aurora einfach nur dabei, wie sie ihren Alltag mit all seinen Facetten meistert. Ein Kind von Traurigkeit ist sie dabei nie, stets blickt sie nach vorne. Auch wenn sie manchmal nicht weiß, wie sie mit Situationen umgehen soll, wirkt sie weder verunsichert noch ängstlich. Es ist eine Freude, ihr dabei zuzusehen, wie sie die mehr oder weniger geläufigen Alltagssituationen meistert. Sie findet sich im Arbeitsamt, in Kursen oder bei der Jobsuche wieder. Das Komische entfaltet sich in den alltäglichen, manchmal etwas absurden Momenten.

Der Regisseurin Blandine Lenoir war in Madame Aurora und der Duft von Frühling eben dieser komödiantischer Zugang zum Älterwerden und den damit verbundenen Herausforderungen wichtig. Vielen Wendungen ihrer eigenen Story kann Aurora nicht immer mit Gelassenheit gegenüberstehen, nichtsdestotrotz bemüht sich der Film darum, amüsant und unterhaltsam zu sein. Manchmal ist dieses Bemühen etwas forciert, gerade deswegen ist der Humor oft etwas eigenwillig. Doch eigentlich stört das überhaupt nicht. Agnès Jaoui spielt eine sympathische, manchmal etwas konfuse, aber fast immer nachvollziehbare Figur, der man sehr gerne dabei zusieht, wie sie ihr Leben meistert. Sie hat die Bedürfnisse ihrer Familie jahrelang vor die eigenen geschoben. Jetzt kommt sie drauf, dass sie über sich selbst verfügen kann. Manchmal wirkt sie damit etwas überfordert, manchmal macht ihr das Wie zu schaffen, dem der Film dementsprechend viel Platz einräumt. 

Auroras Figur erhebt keinen Anspruch darauf, sich in vielen Frauen mit ähnlicher Demografie wiederzufinden. Doch tatsächlich stellt der Film genug Identifikationspotential zur Verfügung. Madame Aurora und der Duft von Frühling ist zwar nicht frei von rührseligen Momenten – vor allem der romantische Showdown am Ende könnte einem Hollywood-Film entsprungen sein –, aber der Kitsch kommt in geringen und verträglichen Dosen. Im deutschen Verleihtitel hat Aurore diesen unnötigen Zusatz angehängt bekommen, der auf eine locker-flockige französische Liebeskomödie hindeutet. Auf die aufgewärmte love story hätte der Film aber genauso gut verzichten können. Es geht hier schlicht und ergreifend um Aurora, in ihrer sehr direkten und unverblümten Art. Und im Gegensatz zu Aurora ist der Film manchmal ein bisschen blumig. Aber eigentlich haben die beiden viel gemeinsam.

Madame Aurora und der Duft von Frühling (2017)

Die getrennt lebende Aurore hat gerade ihren Job verloren und muss zu allem Überfluss auch noch feststellen, dass sie aus dem Schlamassel, zu dem ihr Leben geworden ist, nicht mehr herausfindet. Doch dann findet sie durch einen Zufall ihre große Jugendliebe wieder — und plötzlich erscheint alles möglich. Was wäre, wenn ein neues, ein glücklicheres Leben genau jetzt beginnt?

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