Blinder Schacht

Der Bauch von China

Immer wieder erreichen uns Nachrichten von Grubenunglücken in China, die aus der anscheinend alltäglichen Praxis illegal betriebener Minen herrühren. Eine düstere Variante dieser Unglücke zeichnet der chinesische Regisseur Li Yang nach, denn in seinem Film Blinder Schacht / Mang Jing zeigt er vor allem das menschliche Versagen, das sich dahinter verbirgt. Und manchmal, so erweist sich im vorliegenden Fall, ist es keineswegs nur Unachtsamkeit, sondern auch Absicht, dass Minen einstürzen.
Die beiden Bergleuten Song (Li Yixiang) und Tang (Wang Shuangbao) schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Leben, die Arbeit unter Tage bringt nicht viel ein. Doch Song und Tang haben einen teuflischen Plan, wie sie sich ihren kargen Lohn aufbessern können. Sie nehmen Tangs angeblichen Bruder Chaolu, der erst vor wenigen Tagen eingetroffen ist, mit in die Tiefe und erschlagen ihn mit ihren Spitzhacken. Danach fingieren sie einen Einsturz der Mine, dem sie unversehrt entkommen und kassieren oben dann eine saftige Entschädigungszahlung für den Tod des Anverwandten. Aus Angst erfüllt der Minenbetreiber die Forderungen der beiden Bergleute, denn andernfalls würde die Schließung des Bergwerks drohen. Ein perfider Trick, der bestens funktioniert.

Doch schon bald brauchen sie ein neues Opfer, einen neuen Verwandten, für dessen Leiche sie abkassieren können. Am Bahnhof stoßen sie auf den 16-jährigen Yuan (Wang Baoqiang), ein einfacher Junge vom Land. Auch Yuans Vater ist eines Tages aus den Minen nicht nach Hause zurückgekehrt, und so macht sich der Sohn ebenfalls auf, um sein Auskommen bei der harten und gefährlichen Arbeit unter Tage zu machen. Tang schlägt ihm vor, Arbeit für ihn zu suchen und ihn den Minenbesitzern vorzustellen. Es gibt nur eine Bedingung: Er muss sich als Songs Neffe ausgeben. Doch dieses Mal will Song das Spiel nicht mitmachen, denn Yuan ist in seinen Augen zu jung. Zwischen den beiden Komplizen von einst kommt es zum Streit, der nur vordergründig beigelegt werden kann…

Es verwundert wenig, dass Blinder Schacht / Mang Jing in China verboten bzw. ignoriert wurde, denn harscher und unversöhnlicher kann die Kritik am viel gelobten chinesischen Wirtschaftswunder kaum ausfallen. An einer Stelle äußert Song: „In China mangelt es an allem, außer an Menschen“, und genau das trifft die schonungslose Analyse Li Yangs auf den Punkt. In seinen Augen ist China ein menschenfressender und -verzehrender Moloch, der den Einzelnen als puren Rohstoff begreift und in seiner Extremform neben Korruption bereits die ersten Anzeichen eines zynischen Turbokapitalismus zeigt, der buchstäblich über Leichen geht. Schonungsloser ist selten dargelegt worden, was im Reich der Mitte, im Bauch des Kolosses schief läuft.

Blinder Schacht

Immer wieder erreichen uns Nachrichten von Grubenunglücken in China, die aus der anscheinend alltäglichen Praxis illegal betriebener Minen herrühren.
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