Deserto Feliz

Eine Filmkritik von Verena Kolb

Berlinale Panorama

Immer wieder schwenkt die Kamera auf die Betonwüste eines Wohngebiets in Recife, Brasilien, und in ein kleines Zimmer, in dem drei junge Frauen gemeinsam leben. Die Wohnverhältnisse sind beengt; das Essen ist einfach, die Stimmung trist. Was dem europäischen Publikum vor allem durch seine malerischen Küsten und lebhaftes Strandleben bekannt ist, was in vielen Filmen als Favela-Idylle und „Armut mit Charme“ präsentiert wird, ist in Deserto Feliz von Paulo Caldas in ein ganz anderes Licht gerückt.

Deserto Feliz erzählt die Geschichte der 16-jährigen Jéssica, die mit ihrer Mutter Maria und dem Stiefvater Biu in einem Dorf am São Francisco River im Osten Brasiliens lebt. Als das junge Mädchen von Biu vergewaltigt wird und Maria sich weigert, das Verbrechen anzuzeigen, ist Jéssicas bislang unbeschwertes Leben mit einem Mal zerstört. Sie flüchtet aus dem elterlichen Haus und beginnt, sich als Prostituierte durchzuschlagen. Nach dem Erlebnis mit dem Stiefvater scheint es ihr auch nicht schwer zu fallen, sich an den Straßenrand zu stellen und ihre Mitfahrgelegenheit nach Recife mit ihrem Körper zu erkaufen.

Im kleinen Einzimmerapartment einer gealterten Hure findet sie mit anderen Mädchen Unterschlupf und gewöhnt sich rasch an den Alltag des Freudenmädchens: Am Abend stehen die jungen Frauen gemeinsam vor dem Spiegel, sie ziehen zusammen los und trinken sich in die gute Partylaune, die ihnen Kundschaft und das wenige Geld bringt, das sie brauchen, um das Zimmer und ihre kleinen Ausgaben zu bezahlen. Wenn sie Glück haben, werden sie an abenteuerlustige Touristen vermittelt.

So lernt Jéssica auch Mark aus Deutschland kennen, der ihr wie ein Märchenprinz erscheint und Hoffnung macht: Kann er ihr den Traum von einer romantischen Liebe und einem besseren Leben in einem anderen Land, erfüllen? Mark und Jéssica verbringen viele gemeinsamen Nächte in Recife, und plötzlich findet sie sich in einer schicken Berliner Wohnung im winterlichen Deutschland wieder. Mark hat Jéssica tatsächlich mit nach Deutschland genommen. Wird Jéssicas Traum nun Wirklichkeit?

Caldas beschreibt in seiner dritten Spielfilmproduktion mit eindrücklichen Bildern und langen Einstellungen die Einsamkeit und die triste Eintönigkeit, die die gegenwärtige Situation von Jéssica bestimmen, und zeichnet damit ein präzises Portrait der jungen Prostituierten, die ihr Schicksal mit Hunderten von Frauen teilt. Die Geschichte entwickelt sich langsam, die Schnitte sind selten, bisweilen wartet man minutenlang auf einen Dialog. Diese Langsamkeit kann man Caldas bestimmt auch vorwerfen, doch ist sie es gerade, die diese bedrückende Stimmung hervorruft, die den Film bestimmt und das Publikum (mit)fühlen lässt. Statt des konventionellen Rotlichtmilieus, das viele Filme verwenden, die das Thema Prostitution aufgreifen, filmt Caldas in blauen und grünlichen Tönen; die Bilder sind grau, fast farblos, und drücken noch mehr auf die Stimmung.

Aber hat der Film auch eine kleine Schwäche: An manchen Stellen arbeitet Caldas mit Unausgesprochenem und Anspielungen. Das kann – wenn in Maßen – effektvoll sein. Doch in Deserto Feliz wirft es dann doch immer wieder Fragen auf: War es wirklich Jéssica, die Mark gefragt hat, ob er sie mit in sein Land nehmen würde; oder hat er sie überredet, nach Deutschland mit zu kommen? Im Publikumsgespräch auf der Berlinale sagt der Regisseur, er wolle in seinem Film einen „großen Raum für Interpretation“ lassen, Deserto feliz soll zum Nachdenken anregen. Dies jedoch erreicht er schon durch die filmsprachlichen Mittel, auf der Vermittlungsebene; auf der Ebene der Geschichte wäre ein wenig mehr Eindeutigkeit wünschenswert gewesen.

Deserto Feliz wurde unter anderem von der Karlsruher Produktionsfirma noirfilm koproduziert und feierte seine Weltpremiere im Programm Panorama spezial der Berlinale 2007.
 

Deserto Feliz

Immer wieder schwenkt die Kamera auf die Betonwüste eines Wohngebiets in Recife, Brasilien, und in ein kleines Zimmer, in dem drei junge Frauen gemeinsam leben.

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Meinungen

Pia · 04.03.2013

Ein Film zum Nachdenken. Mehr kann man dazu eigentlich nicht sagen.