Ein Lied für Argyris

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Schatten der Vergangenheit

Argyris Sfountouris ist ein freundlicher älterer Herr von beeindruckender Beredsamkeit und Bildung, dem man nicht ansieht, welch schreckliches Trauma er mit sich herumträgt. Denn am 10. Juni des Jahres 1944 musste der damals vierjährige Junge miterleben, wie während einer „Strafaktion“ einer SS-Division, die einem Partisanenangriff in der Gegend folgte, innerhalb weniger Stunden 218 Bewohner des Dorfes Distomo umgebracht wurden, darunter auch seine Eltern und 30 Angehörige des Jungen. Nach dem Massaker, das der Junge nur durch einen Zufall überlebte, kam Argyris in einem Waisenhaus in Piräus unter, in dem mehr als 1000 griechische Kriegswaisen lebten – seine ebenfalls überlebende Schwester war seit diesem Zeitpunkt auf das Schwerste traumatisiert.
Nach vier langen Jahren kam dann plötzlich die Wende in seinem Leben: Das Schweizer Rote Kreuz wird auf den Knaben aufmerksam, der über eine außerordentliche Intelligenz verfügt, so dass Argyris schließlich den Weg in das Pestalozzi-Dorf Trogen findet, wo seine Begabungen besser gefördert werden können. Zunächst kostet es den Jungen einiges an Überwindung, ausgerechnet die Sprache der Mörder und Folterknechte von damals erlernen zu müssen, doch Argyris überwindet sich, macht das Abitur und studiert Astrophysik und Philosophie. Anschließend arbeitet er als Lehrer, schreibt Gedichte, betätigt sich unter anderem als Übersetzer für Nikos Kazantakis und gibt schließlich unter dem Eindruck des Obristen-Putsches in seiner Heimat eine oppositionelle Zeitschrift namens „Propyläa“ heraus.

Dann, mit vierzig Jahren, kommt es abermals zu einem Bruch: Argyris Sfountouris geht in die Entwicklungshilfe, verbringt mehrere Jahren in Ländern wie Somalia, Nepal und Indonesien – für ihn die schönste Zeit seines Lebens. Neben dieser Odyssee kämpfte Argyris Sfountouris Zeit seines Lebens gegen das Vergessen und für Wiedergutmachungsleistungen gegenüber den Einwohnern von Distomo. Ohne Groll, aber mit großer Bestimmtheit organisierte er Gedenktage, Konferenzen, trat vor Gericht als Kläger auf und initiierte die Aufsehen erregende Beinahe-Beschlagnahmung des Goethe-Institutes in Athen – sein Kampf dauert bis heute an und wird derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt.

Der Schweizer Filmemacher Stefan Haupt hat Argyris Sfountouris besucht und Gespräche mit ihm und Zeitzeugen wie etwa Mikis Theodorakis geführt, die er immer wieder alten Fotografien und Filmbildern gegenüberstellt. Doch Ein Lied für Argyris beschränkt sich nicht allein auf die historische Perspektive, sondern verdeutlicht auch immer wieder, was dieses Ereignis aus Argyris Sfountouris gemacht hat – einen Mann ohne Heimat, der trotzdem mit beiden Beinen im Leben steht und einen sanftmütigen, charmanten Kämpfer gegen das Vergessen.

Ein Lied für Argyris

Argyris Sfountouris ist ein freundlicher älterer Herr von beeindruckender Beredsamkeit und Bildung, dem man nicht ansieht, welch schreckliches Trauma er mit sich herumträgt.
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Meinungen

polychronis sarantis · 20.10.2007

super

Wolfgang · 15.05.2007

da kann ich Gast nur beipflichten!

· 12.05.2007

Ein ungemein starker, berührender Film!