GG 19

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Wie die Faust aufs Auge

Es war ein eigenartiges, gewaltiges und zudem stark ambitioniertes Projekt, das der Berliner Regisseur und Produzent Harald Siebler im Jahre 2003 initiierte. Zum 55. Geburtstag des Grundgesetzes rief er in Zusammenarbeit mit der Master School Drehbuch Berlin die Drehbuchschreiber der Nation auf, für die ersten 19 Artikel des Gesetzes, die so genannten Grundrechte, je ein Skript zu verfassen, das in der filmischen Adaption ungefähr die Länge von sechs Minuten umfassen sollte. Die Resonanz war mit 482 eingereichten Vorschlägen beachtlich, und es konnten zudem zahlreiche Politiker, kulturelle Institutionen, Sponsoren aus der Wirtschaft, engagierte Filmemacher und Schauspieler sowie gar ganze Städte zur Unterstützung des Vorhabens gewonnen werden. So begann 2005 die enorm aufwändige Umsetzung des Projektes mit kleinem Etat, aber großem Engagement einer Vielzahl von Mitwirkenden und Beratern im Hintergrund unter der Gesamtregie von Harald Siebler. Das Resultat dieser logistisch komplexen Inszenierung der in der Verfassung verankerten Menschenrechte durch nicht weniger als 19 Regisseure wird nun als episodisch angelegter Spielfilm GG 19 in den Kinos zu sehen sein.
Wie aber gestaltet sich die Verfilmung eines juristischen Textes? Durchaus nahe liegend: Seine substantielle Aussage wird in eine kleine Geschichte übertragen, die sich thematisch mit ebendieser beschäftigt, wobei es in der Regel Abweichung und Verstoß sind, die dem hehren Ideal des Gesetzes gegenübergestellt werden. So wird der Zuschauer bei der Eröffnungs-Episode des Regisseurs Johannes von Gwinner zu Artikel 1 der unantastbaren Würde des Menschen Zeuge, wie ein Familienvater als Opfer eines brutalen Überfalls in seinem Zuhause auf bestialische Weise gefoltert wird. Der Kurzfilm zur Freiheit des Glaubens (Artikel 4) von Boris Anderson stellt die familiären Konflikte um ein zutiefst frommes Mädchen dar, dessen weltlich eingestellte Eltern ihre Passion für das Christentum geradezu verteufeln. Suzanne von Borsodys Beitrag zu Artikel 7, der den Staat als Aufsicht über das Schulwesen bestimmt, handelt von den Schwierigkeiten einer deutsch-muslimischen Lehrerin, deren Eltern aus dem Iran stammen und die ihren Kopf mit einem Tuch zu umhüllen pflegt. Mit der in Artikel 8 verankerten Versammlungsfreiheit beschäftigt sich der Initiator Harald Siebler selbst, indem er eine alte Dame mit der Botschaft „Nie wieder“ vor dem Reichstagsgebäude in Berlin demonstrieren lässt, die einiges Unbehagen beim Wachpersonal auslöst und schließlich unerwartete Unterstützung erhält.

Dass diese Szenarien wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge passen, ist charakteristisch für GG 19, der sich um die zentrale Frage dreht, inwieweit die Menschenrechte in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts tatsächlich respektiert und praktisch umgesetzt werden. Die Unstimmigkeit zwischen Ideal und Realität, zwischen Verfassungstext und seiner Handhabung sowie oftmals defizitären Praxis bestimmt den Ton des Films, in der eindeutigen Absicht, sein Publikum zur Reflexion über die Bedeutung dieser im Grundgesetz verankerten Werte zu bewegen. Und dies streckenweise ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass eine Faust auf dem Auge des Zuschauers kaum dazu einlädt, seinen Blick zu schärfen.

Leider gelingt das ehrgeizige Vorhaben nur in geringem Maße, so dass wieder einmal zu festzustellen ist, dass gut gemeint nicht automatisch auch gut gemacht bedeutet. Schulmeisterlich, schwerfällig wie verquastes Juristendeutsch und teilweise unfreiwillig komisch, ist dieser Omnibus-Film nur wenig dazu angetan, das Gefühl von Respekt gegenüber den Artikeln des Grundgesetzes zu erzeugen.

GG 19

Es war ein eigenartiges, gewaltiges und zudem stark ambitioniertes Projekt, das der Berliner Regisseur und Produzent Harald Siebler im Jahre 2003 initiierte.
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Meinungen

Marian Ahne · 14.01.2010

Die DVD wird entweder noch dieses oder nächstes Jahr erscheinen. Das liegt daran, dass es ein kulturelles, nicht aber ein kommerzielles Filmprojekt ist ... Derzeit befindet sich GG 19 übrigens noch auf Filmtour anlässlich des 60. Geburstages des Grundgesetzes. Die Spielstätten sind unter dem Button "Filmtournee" unter www.GG19.de einsehbar.

mat · 18.01.2009

Lang aber kurzweilig! Kann man eigentlich als Schleife in den Kinos spielen. Und Informativ allemal. Besser wurden Gesetzestexte, aber auch Ihr Tücken nie erklärt. Wo bleibt die DVD?

tom · 11.12.2007

Der Film gehört zu den Besten, die ich so kenne! Er hat den Gesetzen für mich ein Gesicht gegeben: Als ich nach dem Film daheim war, habe ich als erstes das Grundgesetz durchgelesen! Nur solche Filme machen Kino interessant,man bekommt etwas zum Nachdenken und nicht nur den ganzen Mainstream-Schheiss!

· 05.07.2007

Wo Linnemann recht hat, hat er einfach recht - taugt vielleicht für eine bildungspolitische TV-Sendung, im Kino vollkommen fehl am Platz

Linnemann · 03.07.2007

Mehr von solchen Filmen bedeutet das Ende des Kinos...aber das Publikum hat schon geahnt, dass man dieses Gepäck für das Leben nicht braucht.

Maria Lang · 03.07.2007

Der Film setzt sich mit einem Gut auseinander, das wir im Gepäck unseres Leben haben. Das uns meist nutzt, ohne das wir nicht frei wären. Wir atmen es ein und aus - nur keiner nimmt es bewusst wahr. Der Film ist eine Auseinandersetzung damit, vor der ich den Hut ziehe. Es ist ein Gemeinschaftswerk und tut genau das, was wir so dringend brauchen: Es stebt gesellschaftliches Miteinander an! Ja! Mehr davon!