Folgeschäden

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das schleichende Gift des Generalverdachts

In der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 und anderen Attentaten in London, Madrid und anderswo hat sich das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen in den letzten Jahren spürbar verändert. Wie tief gehend das Misstrauen sitzt und wie leicht es selbst familiäre Strukturen zu erschüttern versteht, davon erzählt Samir Nasr in seinem Film Folgeschäden, der – obwohl er bereits aus dem Jahre 2005 stammt – nichts an seiner Aktualität verloren hat. Er zeigt anhand einer deutsch-algerischen Familie, wie sehr die Liebe in Zeiten des globalen Terrorismus in Bedrängnis beraten kann, wie sehr das schleichende Gift des Misstrauens ins Private eindringt und seine alles zerstörende Kraft entfaltet.
Zunächst wollen der aus Algerien stammende Virologe Tariq Slimani (Mehdi Nebbou) und seine Frau, die Art Directorin Maya (Silke Bodenbender) die um sie herum stattfindenden Veränderungen gar nicht wahrnehmen. Das in Hamburg lebende Paar setzt sich anfangs noch lächelnd über kulturelle Unterschiede hinweg, doch das gemeinsame Glück mit dem Sohn Karim (Mahmoud Alame) ist nur von kurzer Dauer, wie ein Damoklesschwert schwebt die vergiftete Atmosphäre über den Köpfen der (noch) Ahnungslosen. Doch das interkulturelle Familienglück währt nicht lange, und schnell zeigt sich, wie leicht in Zeiten wie diesen das gegenseitige Vertrauen zu erschüttern ist. Als sich das Bundeskriminalamt für Tariq zu interessieren beginnt und Maya aufsucht, bleibt dieser Besuch nicht ohne Folgen. Als Beweis für einen Anfangsverdacht gegen Tariq haben die Ermittler des BKA auch etwas in der Hand, ein Video, das Tariq als Vertreter der muslimischen Gemeinde Hamburgs bei der Hochzeit von Said Bahaji zeigt, der als einer der Drahtzieher der Anschläge von New York gilt. Daher scheint für die Beamten des BKA der Verdacht nahe, dass es sich bei Tariq um einen „Schläfer“ handelt. Anfangs zeigt sich Maya noch empört ob des Verdachtes, weist die erhobenen Vorwürfe und Mutmaßungen weit von sich und verweigert sich der Bitte um Zusammenarbeit. Doch einmal gepflanzt keimt der Verdacht in ihr, dass tatsächlich mit ihrem Mann etwas nicht stimmen könnte. Da ist etwa Tariqs frommer iranischer Freund Reza (Mehdi Moinzadeh), dessen Ansichten bei ihrem Mann auf immer mehr Zustimmung zu stoßen scheinen. Auch beruflich wird es für Tariq immer schwieriger, ein Visum für die Einreise in die USA für eine Vortragsreihe erweist sich plötzlich als unüberwindliche Hürde. Und als ein Stamm von Ebola-Viren aus dem Labor verschwindet, in dem Tariq arbeitet, wird ihm als Hauptverdächtigem der Zugang zu seiner Arbeitsstätte verwehrt. Tariq versteht die Welt nicht mehr und reagiert zunehmend gereizt auf die Schwierigkeiten, was ihn wiederum in den Augen seiner Umwelt noch verdächtiger erscheinen lässt. Und als sich in Paris ein Anschlag ereignet und Maya herausfindet, dass Tariq Kontakte in die französische Hauptstadt unterhielt, sind die Folgeschäden für die Beziehung des Paares nicht länger zu übersehen…

Die Thematik von Samir Nasrs Spielfilmdebüt Folgeschäden ist keineswegs neu, bereits Benjamin Heisenbergs äußerst sehenswerter Schläfer untersuchte die Folgen der Angst vor dem Terrorismus für das alltägliche Zusammenleben und kam zu einem ähnlich niederschmetternden Ergebnis wie der Deutsch-Ägypter – zumal Mehdi Nebbou auch hier die Rolle des unter Verdacht geratenen Wissenschaftlers so beängstigend vielschichtig spielte, dass man befürchten muss, dass er fortan auf diese Rolle festgelegt sein wird. Ob man Nasrs und Heisenbergs gesellschaftliche Beobachtungen nun teilen mag oder nicht, sie stellen einen wichtigen und immer noch seltenen Ansatz dar, um das ins Ungleichgewicht gekommene Verhältnis der unterschiedlichen Kulturen und Religionen zu illustrieren und den Finger auf die vielfachen Wunden zu legen. Die Lösungen zur Verbesserung des Zusammenlebens müssen aus der Gesellschaft selbst kommen – auch wenn derzeit wenig Grund zur Hoffnung besteht.

Wer Folgeschäden bei seiner Fernsehausstrahlung verpasst hat, sollte sich diese sehenswerte Auseinandersetzung mit unserer alltäglichen Angst und unseren bewussten oder unbewussten Vorurteilen unbedingt anschauen – zumal Samir Nasr und seine Darsteller die allgegenwärtigen Beklemmungen und das Eindringen des Politischen ins Private auf sehr gelungene Weise auf die Leinwand bannen.

Folgeschäden

In der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 und anderen Attentaten in London, Madrid und anderswo hat sich das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen in den letzten Jahren spürbar verändert.
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Meinungen

Ferdi van Danen · 01.01.2012

Briliant!

Antje Rohleder · 01.01.2012

Berührend.Politisch brisant ohne goßes Bohei.Außgezeichnet gespielt.