Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Zwei beschädigte Seelen

Sieht so der berühmteste Bandit Amerikas aus? Ein Mann, der ein Kind verprügelt, ihm fast das Ohr abreißt? Dem anschließend die Tränen kommen, weil er sich selbst nicht begreift? Jesse James ging als eine Art Robin Hood in die Mediengeschichte der USA ein. Im Film von Andrew Dominik ist er ein psychisches Wrack. Ein wildes, gefährliches, unberechenbares Wrack.
Kansas City, im Jahr 1881. Die James-Gang hat ihre besten Jahre hinter sich. Von der ursprünglichen Bande, die Banken und Eisenbahngesellschaften ausraubte und von den armen Farmern dafür bewundert wurde, sind nur noch Jesse (Brad Pitt) und sein älterer Bruder Frank übrig. Jesse lebt unter falschem Namen mit seiner Familie in Kansas, Frank will aussteigen und es sich als Landbesitzer gemütlich machen. Aber Jesse kann sich nicht auf Dauer mit einem geruhsamen Leben anfreunden. Er ist innerlich zerrissen zwischen Depressionen und sinnlosen Gewaltausbrüchen.

Beim letzten gemeinsamen Raubüberfall der Brüder stößt Robert Ford (Casey Affleck) zu der Bande. Obwohl der 19-Jährige ein unbeschriebenes Blatt ist, nimmt ihn der sonst so misstrauische Jesse nach zwei Tagen in seine Familie auf. Irgendwie scheint es dem einsamen Helden gut zu tun, wie sehr ihn der naive Jüngling als eine Art Vaterfigur anhimmelt. Robert möchte so sein wie sein Idol, von dem er einen ganzen Koffer Groschenhefte unter dem Bett versteckt: berühmt und bewundert. Über Jahre hinweg hat der Möchte-Gern-Held Fakten gesammelt, die er mit Jesse gemein hat: Dass beide genauso groß und die jüngsten in der Geschwisterreihe sind, dass die Namen der mittleren Geschwister jeweils sechs Buchstaben haben und derlei Kuriositäten mehr. Die entscheidende Frage ist nur: Will Robert lediglich genauso sein wie Jesse? Oder will er in die andere Person hineinschlüpfen, will er an ihre Stelle treten, indem er Jesse beseitigt, das Lösegeld kassiert und bekannter wird als der Präsident der Vereinigten Staaten?

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford ist ein Western, aber vor allem ein Psychodrama, das den Konflikt der beschädigten Seelen in mehr als zweieinhalb Stunden seziert. Der Regisseur tut dies in getragenen Rhythmen, mit verklärten Bildern von verschneiten Landschaften unter grauem Himmel, untermalt von klagenden Streicherklängen. Er nimmt sich alle Zeit der Welt, um der Heldendämmerung von Jesse auf die Spur zu kommen. Er klopft auch noch die letzten Zuckungen der wunden Seele auf Hinweise ab, wie es dazu kam, was im Titel als Fakt gesetzt ist. Nur: Der Film hat für seine Fragen keine endgültige Antwort. Wollte Jesse sterben? Hat er alles so eingerichtet und provoziert? Dafür gibt es etliche Indizien. Etwa dass der Oberbandit kurz vor seiner Ermordung noch den Revolvergürtel ablegt, obwohl er sonst die Pistole sogar mit ins Bett nimmt. Oder dass er kurz vor seinem Tod dem Verehrer eine besonders edle Pistole schenkt. Als wolle er auf ungewöhnliche stilvolle Weise abtreten.

Dass vieles offen bleibt, liegt an der Vorlage des Films, dem gleichnamigen Roman von Ron Hansen. Der Autor hatte jahrelang die bisher nicht erforschten Aspekte des Jesse-James-Mythos recherchiert. Aber worüber der 17-fache Mörder am Ende seines Lebens wirklich nachdachte, darüber blieben die Dokumente die Auskunft schuldig. So bleibt nur das Mienenspiel von Brad Pitt, der seine innersten Regungen in minimalistischer Manier preisgibt. Aber: So könnte jeder Manisch-Depressive agieren. Für die historische Figur des Jesse James gibt das wenig her. Zumal es wenig glaubhaft scheint, dass sich die harten Männer jener Zeit solch weiche Gefühle überhaupt eingestehen konnten.

Was wirklich geschah in den letzten Minuten von Jesse James Leben, darüber kann sich jeder Zuschauer sein eigenes Bild machen. Aber wozu? Was zieht einen Nicht-Amerikaner in diesen Mythos hinein, dem er vielleicht zum ersten Mal begegnet? Reicht die schauspielerische Fingerübung von Brad Pitt aus, der den Outlaw als (lebens?)müden, verletzlichen Seelenkranken zeichnet? Oder sind die Nöte eines jugendlichen Niemands auf der Suche nach der großen Tat so interessant, dass sie zeitgeschichtliche Parallelen nahe legen, etwa zu dem Mörder von John Lennon? Auch das dürfte eine offene Frage bleiben. Wie so vieles an dieser Geschichte.

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford

Sieht so der berühmteste Bandit Amerikas aus? Ein Mann, der ein Kind verprügelt, ihm fast das Ohr abreißt? Dem anschließend die Tränen kommen, weil er sich selbst nicht begreift?
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Meinungen

· 29.05.2008

Bitte verpassen. Das Geld kann man lustvoller und genüsslicher anlegen. Es sei denn, man will mal wieder richtig im Kino Schlaf auftanken. Dann hinein und schnarch.

Will · 26.04.2008

Der schlechteste Film den ich je gesehen habe. Vermeiden! Der langweilt ganz elend. Wer interessiert sich überhaupt so viel für die ganze Geschichte?

· 04.11.2007

Bald 25 Jahre dauert es, bis sich Hollywood der Demontage des Mythos durch die Romanvorlage annimmt.

Der Film reißt die Volksheldenrzählung in Stücke - zudem mit den wundervollsten Bildern, die ich seit langem im Kino gesehen habe. Ganz, ganz großartig.

· 01.11.2007

der film ist lang aber nicht langweilig,
im kino durchaus sehenswert!