It’s Winter - Zemestan

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Vom alltäglichen Überlebenskampf im Iran

Groß waren die Hoffnungen, als das Unrechtsregime des Schahs im Zuge der islamischen Revolution von den Ayatollahs abgelöst wurde. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung sollte die religiöse Neuausrichtung der Gesellschaft endlich für Gerechtigkeit sorgen, dafür, dass die bestehende Schere zwischen Arm und Reich aufgelöst wurde durch eine solidarische Gemeinschaft der Gläubigen, die Wohlstand und Gottesfürchtigkeit als Grundlage für das gesamte iranische Volk absichern sollte. Nach beinahe 30 Jahren sind die Ayatollahs noch immer an der Macht, doch die Versprechen von einstmals sind immer noch nicht eingelöst. Nach wie vor leben große Teile der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums oder darunter, und der Kampf ums Überleben ist für viele Iraner zu einem alltäglichen Begleiter geworden. In seinem dritten Spielfilm It’s Winter — Zemestan erzählt der im Iran geborene und in Großbritannien aufgewachsene Regisseur Rafi Pitts eindringlich von den Sorgen und Nöten seiner einfachen Helden.
Eines Tages entschließt sich Mokhtar (Hashem Abdi), den Iran und die Familie zu verlassen und sein Glück im Ausland zu versuchen, denn zuhause, in der tristen Peripherie der Metropole Teherans, sind die Aussichten verschwindend gering, ein erträgliches Auskommen zu finden. In der Fremde, so glaubt er, ist es besser. Und um seine Frau Khatoun (Mitra Hadjar) und die gesamte Familie, die er in bitterer Armut zurücklässt, schert er sich nicht viel; außerdem weiß er, dass seine Mutter wie ein Luchs über die Moral im Hause wacht. Khatoun bleibt in einem Schwebezustand der Ungewissheit zurück, von ihrem Mann hört sie nicht das Geringste. In der Zwischenzeit ist Marhab (Ali Nicksolat) aus dem Norden des Landes aufgetaucht, ein Wanderarbeiter, der schließlich Arbeit in einer Autowerkstatt findet. Schnell findet er Gefallen an Khatoun und wirbt um die traurige, schöne Frau, bis sich diese schließlich auf eine zweite Ehe einlässt, nichts wissend, was aus ihrem ersten Mann geworden ist – es heißt, er sei in der Fremde gestorben, doch Gewissheit hat sie nicht. Auch Marhab wird ihr und der Not leidenden Familie keine Sicherheit geben können; er ist ein leichtfertiger junger Mann, der nicht weiß, was es bedeutet, die Verantwortung für Andere zu tragen. Und so wird auch er eines Tages den Entschluss fassen, sein Glück im Ausland zu versuchen…

Wären da nicht die zahlreichen Metaphern, die Bilder voller Ausdruckskraft und poetischer Schwermütigkeit, die blinden Flecken und gesichtlosen Unorte der Millionenmetropole Teheran, würde man meinen, sich eine schonungslose Dokumentation über das Elend des iranischen Proletariats anzuschauen, das in unglaublichen Zuständen vor sich hinvegetiert und das längst die Hoffnung auf jedwede Form der Gerechtigkeit verloren hat. Unterstützt durch Laiendarsteller ist Rafi Pitts in seinem Film It’s Winter — Zemestan ein ernüchternder, und deprimierender Film gelungen, der den offiziellen Stellen in seiner ganzen Hoffnungslosigkeit vermutlich ein Dorn im Auge sein dürfte. Filmisch äußerst ansprechend umgesetzt und häufig an die kargen Tendenzen des Neorealismus erinnernd, entwirft der Film ein nicht immer leicht zugängliches, aber dennoch beeindruckendes Panoptikum des alltäglichen Überlebenskampfes im Iran – eine düstere Parabel auf den Zustand eines Landes, dessen Hoffnungen auf mehr Gerechtigkeit sich offensichtlich nicht erfüllt haben.

It’s Winter - Zemestan

Groß waren die Hoffnungen, als das Unrechtsregime des Schahs im Zuge der islamischen Revolution von den Ayatollahs abgelöst wurde.
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