Die Roten Drachen und das Dach der Welt

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein filmischer Reisebericht aus Tibet

Seit den Aufständen der vergangenen Monate ist Tibet wieder einmal ins Zentrum des Interesses der Weltöffentlichkeit gerückt. Es kommt zu Appellen, Beschlüssen, Resolutionen, zu Aufrufen, die letzten Endes doch nichts bringen werden, da sie – wie stets – mit dem Hinweis auf die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu China, meist nur Absichtserklärungen sind. Wie es im Innern Tibtes aussieht, weiß niemand, da alle ausländischen Journalisten während der Unruhen ausgewiesen wurden. Trotzdem: Das Interesse an dem Land, das auch das Dach der Welt genannt wird, ist riesig, politisches Bewusstsein mischt sich mit Phantasien, mit Glorifizierungen, mit Träumen von spiritueller Klarheit, die in unserer westlich geprägten Welt nicht mehr erlebbar ist.
Die beiden Freiburger Studenten Marco Keller und Ronny Pfreundschuh waren im Herbst des Jahres 2004 drei Monate lang in Tibet unterwegs und haben ihre Reise heimlich mit der Kamera dokumentiert – in einer Zeit also, als die Aufstände der jüngsten Zeit noch in weiter Ferne lagen. Trotzdem bekommt man einen guten Eindruck davon, auf welche Weise die Chinesen Einfluss auf Land und Leute nehmen. Oft sind es Szenerien, die aus dem fahrenden Auto heraus gefilmt wurden, was einerseits der Illegalität des Films geschuldet sein dürfte, andererseits den Eindruck eines Road Movies verstärkt. Sie zeigen Szenen aus dem Alltag der Tibeter, zeigen quasi im Vorübergehen eine Aktion, mit der die Chinesen bis zum Jahre 2010 Hochchinesisch zur alleinigen Landessprache machen wollen, sie illustrieren die Gegensätze zwischen Tradition und eilig vorangetriebener Industrialisierung und Erschließung des Landes.

Ruhig und bedächtig ist der Film geworden, wie bei einem Puzzle ergeben sich immer wieder Ausschnitte, die sich erst bei genauerem Hinsehen zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Wo die Sympathien der beiden Freiburger liegen, das ist dem Film deutlich anzumerken, auch wenn sich Marco Keller und Ronny Pfreundschuh mit offenen Statements merklich zurückhalten. Doch die Bilder eines Flüchtlingslagers in Katmandu sprechen Bände, ebenso die Allgegenwärtigkeit der Chinesen im Straßenbild und die Subtilität der Maßnahmen, die den Anspruch Chinas, Befreier und nicht Besatzer Tibets zu sein, konterkarieren. Die verschiedenen Interviews, die die meist zufällig gefundenen Eindrücke ergänzen und vertiefen, entstanden unter größten Sicherheitsmaßnahmen und werden dort politisch und konkret, wo es die Bilder nicht sein können. Doch es kommen keineswegs nur Tibeter zu Wort, sondern auch Chinesen, deren Bild der Lage naturgemäß ein ganz anderes ist. Sie preisen die Fortschritte, die die Zivilisation des Landes machen, die von den Tibetern als Gefährdung und Unterdrückungsmaßnahmen wahrgenommen werden. Auf diese Weise entsteht ein stimmiges Bild der Lage, das jenseits der aktuellen Entwicklungen das Dilemma verdeutlicht, in dem sich Tibet befindet.

Gerade deswegen aber ist Die Roten Drachen und das Dach der Welt ein wichtiges Dokument einer Kultur zwischen Tradition und Moderne, zwischen Spiritualität und Unterdrückung. Vielen Tibetern bleibt angesichts der unvereinbaren Widersprüche nur noch der mühsame Weg ins Exil – ein Weg, den mancher von ihnen nicht überlebt.

Die Roten Drachen und das Dach der Welt

Seit den Aufständen der vergangenen Monate ist Tibet wieder einmal ins Zentrum des Interesses der Weltöffentlichkeit gerückt.
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