Japón

Eine Filmkritik von Wolfgang Nierlin

Das Opfer

Wenn die Produktionsfirma eines Films „NoDream Cinema“ heißt und von einem Partner mit Namen „Solaris Films“ unterstützt wird, dann liefern die Vorspanntitel offensichtlich schon entscheidende Hinweise auf die ästhetische Programmatik des Regisseurs. Man kann vermuten, daß sich dahinter eine Aversion gegenüber dem Illusionskino à la Hollywood verbirgt und der Versuch, die genuin poetischen Möglichkeiten der Filmkunst zu erkunden. Während im einen Fall die Nachahmung der Wirklichkeit aus dieser hinausführen soll, erschafft der antiillusionistische Film eine eigene Welt, um die Konfrontation mit existentiellen Fragen zu verschärfen. Bezeichnenderweise beginnt Japón der Debütfilm des Mexikaners Carlos Reygadas deshalb mit einer Referenz an die eindringliche Autobahnsequenz in Andrej Tarkowskijs Solaris. Es ist aber vor allem dessen letzter Film Opfer, der thematisch und in vielen bildlichen und musikalischen Motiven (Die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach) Japón inspiriert hat. Daneben finden sich Anklänge an Luis Buñuels Las Hurdes/Tierra sin pan und an die frühen Filme von Werner Herzog.
„Einer der größten Feinde des Kinos ist das Geschichtenerzählen“, sagt Carlos Reygadas. Sein Film beschreibt deshalb eine existentielle Verfassung und die Bewegung, die von ihr ausgelöst wird. Nicht die Aufeinanderfolge von Ereignissen zählt, sondern die Grenzmarkierungen im Erfahrungsfeld sind wichtig, wo Anfang und Ende ineinander übergehen, sich spiegelbildlich ablösen und das veränderte Bewusstsein quasi in einen neuen Körper eintritt. Im christlichen Motiv des Opfers findet auch Reygadas jene selbstlose Kraft, die das Leben durch den Tod erneuert. Dem entspricht eine Lichtdramaturgie, die mit Unter- und Überbelichtungen arbeitet und die das Irdische immer wieder in einer schwarzen Leinwand erstarren lässt, während sie das Göttliche in eine weiße Fläche transzendiert.

Geschichtslos und ganz gegenwärtig ist auch der namenlose Fremde (Alejandro Ferretis) des Films, ein Reisender, der hinkt und der so lebensmüde ist, daß er sich im weit abgelegenen Dorf eines unwirtlichen, von rauen, ausgetrockneten Steinhängen gesäumten Cañons umbringen will. Unterkunft für seine vermeintlich letzten Tage findet er bei der alten, tief gläubigen Ascen (Magdalena Flores), die auf eine ungewohnt selbstverständliche Art und Weise um den Gast besorgt ist und ihm in einem ebenso ungewöhnlichen Akt selbstloser Nächstenliebe seinen Lebensmut zurückgibt. In ihrem natürlichen Verständnis besitzt das Heilige einen sinnlichen Körper. Und diese physische Greifbarkeit korrespondiert unmittelbar mit Lebensbedingungen, die so karg und ärmlich sind, als wäre in ihrer Archaik die Zeit stehen geblieben. In vielen Landschaftstotalen, in Jagdszenen und vor allem im Bild des Menschen beschwört Reygadas diese naturgegebene Verfassung des Lebens. Unterstützt wird er dabei von einem Laienspielerensemble, das ganz unverstellt einen authentischen Ausdruck dafür liefert.

Trotzdem ist Japón kein naturalistischer Film. Vielmehr mischen sich in ihm die subjektiven Blicke seines Helden mit Kameraschwenks, die ausdrücklich der Pinselführung eines Malers gleichen wollen. Auch wenn darin die Dialektik zwischen Individuellem und Allgemeinem verhandelt wird und dabei ebenso starke wie echte filmische Momente entstehen, schiebt sich doch das ästhetische Credo des Regisseurs immer wieder bedeutungsschwer in den Vordergrund. Vielleicht ist in Japón Carlos Reygadas‘ Kunstwille manchmal noch zu drängend.

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Wenn die Produktionsfirma eines Films „NoDream Cinema“ heißt und von einem Partner mit Namen „Solaris Films“ unterstützt wird, dann liefern die Vorspanntitel offensichtlich schon entscheidende Hinweise auf die ästhetische Programmatik des Regis
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