Er Shi Si Cheng Ji

Eine Filmkritik von Red.

Der Chronist des Wandels

Es sind nicht nur die kommenden Olympischen Spiele, die dazu führen, dass die Augen der Welt auf China gerichtet sind. Auch der gewaltige gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbruch im Reich der Mitte, der sich in den letzten Jahren vollzieht, wird intensiv beobachtet und wieder auch in der Filmwelt seinen Widerhall. Der wohl bedeutendste chinesische Chronist dieses komplizierten und auch gewagten Spagats zwischen Tradition und Moderne, vorgeblichem Sozialismus und real existierendem Kapitalismus ist der Regisseur Jia Zhang-Ke, der in Cannes seinen Film Er Shi Si Cheng Ji / 24 City im Wettbewerb präsentierte.
Schon in seinen vorherigen Filmen widmete sich Jia Zhang-Ke den enormen Veränderungen, die sich in China gegenwärtig vollziehen. Der in einem Themenpark angesiedelte Shijie (World, 2004) unersuchte die Auswirkungen der zunehmenden Globalisierung auf die traditionelle chinesische Kultur, während Sanxia Haoren (Still Life, 2006) sich um die Folgen des riesigen Drei-Schluchten-Staudamms, der am Flusses Yangtze gebaut wird, drehte. Sanxia Haoren wurde 2006 beim Filmfestival von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet und festigte Jia Zhang-Kes Ruf als eine Ikone des chinesischen Arthouse-Films.

Auch 24 City bewegt sich deutlich in der thematischen Tradition seiner unmittelbaren Vorgänger. In Chengdu wird der im Staatsbesitz befindliche Industriekomplex Fabrik 420 still gelegt. Seit mehr als sechs Jahrzehnten wurden in der Fabrik Rüstungsgüter produziert, doch jetzt soll sie einer Luxusapartmentanlage weichen. Ursprünglich als Dokumentarfilm angelegt, fügte Jia Zhang-Ke fiktive Sequenzen und Interviews in sein Werk ein, die generationsübergreifend dazu dienen die Kluft zwischen sozialistischer Vergangenheit und modernem Erfolgstreben und Materialismus verdeutlichen.

Die internationale Filmkritik äußert sich sehr positiv über 24 City, wenngleich viele Kommentatoren darauf hinweisen, dass die kommerziellen Chancen einer Kinoauswertung gering sind. Auf Screendaily lobt Dan Fainaru zunächst die Arbeit der Kameramänner Yu Likwai und Wang Yu, betont jedoch auch, dass 24 City eher an die „Ratio appelliert als das er mitreiße“. Anthony Kaufman von indiewire.com hat einen Film gesehen, der „eine meisterhafte Ästhetik aufweist“ und dessen „Mischung aus Fiktion und Dokumentarfilm ein faszinierendes Resultat liefert.“ Dennis Lim von der Los Angeles Times ist überzeugt, dass Jia Zhang-Kes Filme exakt zeigen wie sich die Politik der chinesischen Regierung auf die Bevölkerung im eigenen Land auswirkt. Auf arte.tv ist Julien Welter von 24 City und vor allem von dessen Regisseur begeistert: „Brachliegend oder industrialisiert hat das 21. Jahrhundert mit Jia Zhang Ke einen Beobachter gefunden, der ihm gewachsen ist.“

Er Shi Si Cheng Ji

Es sind nicht nur die kommenden Olympischen Spiele, die dazu führen, dass die Augen der Welt auf China gerichtet sind.
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