The Wrestler

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Schmerzensmann

Oft sehen wir diesen Mann von hinten. Die bewegliche Handkamera folgt ihm auf seinen Gängen, vermeidet anfangs beinahe vollständig den Blick in sein gezeichnetes Antlitz und fokussiert stattdessen immer wieder auf das breite Kreuz, in dessen Mitte der Kopf Jesu tätowiert ist. Ein Zufall? Wohl kaum. Denn auch wenn der Wrestler Randy „The Ram“ Robinson (Mickey Rourke) nun wahrlich kein Heiliger ist, gleicht Darren Aronofskys Film einer modernen Passionsgeschichte und einem mittelalterlichen Andachtsbild, das auf die Versehrtheit des gemarterten Leibes Christi hinweist – der Schmerzensmann eben. Trotz solcher Stilisierungen, die in diesem Film in subtiler Form vielfach vorgenommen werden, ist The Wrestler vor allem aber ein Werk von quasi-dokumentarischer Qualität, von brennender Intensität, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht und noch lange nachwirkt.

Dass „The Ram“ seine besten Zeiten längst hinter sich hat, thematisiert der Film immer wieder: Die blond gefärbte Rockermähne, Randys Vorliebe für Heavy Rock aus den Achtzigern, die Erinnerungen an große Fights der Vergangenheit – das alles kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass sich seine Karriere längst dem Ende zuneigt und außer fragwürdigem Ruhm und Narben von „Arbeitsunfällen“ nichts mehr übrig ist. Wie ein Soldat zeigt „The Ram“ sie gerne her, weiß zu jeder Wunde eine Geschichte zu erzählen, trägt sie wie Orden auf dem immer noch imposanten, aber zunehmend aufgeschwemmt wirkenden Leib.

Mühsam hält sich Randy über Wasser, haust in einem Trailerpark und hat immer mal wieder Ärger mit seinem Vermieter, wenn er mal wieder in Rückstand geraten ist. Die Kämpfe werden weniger, der Aufwand, um den Körper mit Hilfe von Steroiden und Anabolika instand zu halten, immer größer. Eine Abwärtsspirale, aus der es scheinbar kein Entrinnen gibt.

Ähnlich prekär wie seine berufliche Situation sind auch seine privaten Verhältnisse. Denn es gibt quasi keine. Die Tochter Stephanie (Evan Rachel Wood) ließ er einst im Stich, für die Zweisamkeit mit der Stripperin Cassidy alias Pam (Marisa Tomei) muss er bezahlen – auch wenn er ihr gerne näher käme. Als „The Ram“ nach einem Kampf einen Herzinfarkt erleidet, rät ihm der behandelnde Arzt dringend an, endgültig das Handtuch zu werfen und den Ring zu verlassen. Doch wie soll einer das Kämpfen aufgeben, der laut eigener Auskunft nichts anderes kann, nie etwas anderes gelernt hat? Die Show muss weitergehen. Bis zum Ende.

Mickey Rourke, in den Achtzigern für Filme wie Rumble Fish, Angel Heart und 9 ½ Wochen gefeiert, hat eine ähnliche Karriere wie sein filmisches „Alter ego“ hinter sich. Nach dem (zeitgleichen) Ruhm wie die Filmfigur fiel Rourke vor allem durch Exzesse auf und verschleuderte sein Talent auf eine mehr als fragwürdige Karriere als Profiboxer. Es folgte die Scheidung von dem Fotomodell Carré Otis, die Rourke beinahe mit in den Abgrund aus Drogen gerissen hätte, in dem er sich befand. Ohne Zweifel sind es diese Erfahrungen, die Rourke für die Rolle als geschundener Held in The Wrestler geradezu prädestinieren. Und ganz sicher spielt er hier die Rolle seines Lebens. Hoffentlich mit einem besseren Ende, als dies Randy „The Ram“ Robinson vergönnt ist.

Doch es ist nicht nur die Leistung Rourkes, die aus The Wrestler ein echtes Juwel macht, sondern auch Darren Aronofskys außerordentliches Händchen für Szenen voller Authentizität und Dichte. Bislang vor allem durch höchst artifizielle Bildgebungen voller Rhythmik und Exzentrik aufgefallen, nimmt sich der Regisseur hier sehr weit zurück, begleitet seinen gefallenen Helden unauffällig, gibt ihm und der Szene der Wrestler (die größtenteils von echten Gladiatoren und deren Fans verkörpert wird) viel Raum und findet immer wieder denkwürdige Einstellungen und Details, die einen ebenso ernüchternden wie faszinierenden Blick hinter die Kulissen des Wrestlings erlauben.

Eindrucksvoll beispielsweise eine Autogrammstunde in einer tristen Turnhalle, in der die geschundenen Helden der Arena ihre Devotionalien an ihr treues Publikum verhökern. Erschreckend, wenn ein versehrter Zuschauer bei einem Schaukampf „The Ram“ seine Beinprothese reicht, damit der mit dieser Waffe zum Schein auf einen Gegner einprügeln kann. Ernüchternd die Einsamkeit und die Ärmlichkeit, in der solche Idole ihr Leben außerhalb des Rings fristen. Doch selbst im Supermarkt spielt Randy immer noch eine Rolle – und verleugnet doch seine eigentliche Rolle als „The Ram“, als er darauf angesprochen wird. Stolz, Bürde und Selbstverrat – drei Verhaltensweisen, die ganz nahe beieinander liegen.

In solchen Momenten, aber auch in der Kameradschaft und Freundschaft zwischen den Wrestlern, die Tag für Tag ihren Leib zu Markte tragen, spüren wir etwas von der Aussichtslosigkeit, mit der sie dies tun, von der Hingabe, mit der sie sich martern lassen, sich Tackernadeln unter die Haut jagen und sich selbst mit Rasierklingen ritzen, um eindrucksvoller zu bluten. Wir spüren die zerborstenen Hoffnungen und Träume der Kämpfer und ihrer Fans, denen nichts mehr geblieben ist außer Scheinkämpfen, Maskeraden, fest zementierten Rollenbildern und Illusionen. Ganz selbstverständlich leiden wir mit ihnen – seht her, was für ein Mensch! Und seht her — was für ein Film!
 

The Wrestler

Oft sehen wir diesen Mann von hinten. Die bewegliche Handkamera folgt ihm auf seinen Gängen, vermeidet anfangs beinahe vollständig den Blick in sein gezeichnetes Antlitz und fokussiert stattdessen immer wieder auf das breite Kreuz, in dessen Mitte der Kopf Jesu tätowiert ist.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

... · 11.04.2009

Sag mal was für lächerliche kommentare sind das da unten eigentlich? selbst wenn das ne darstellung dieser dinge ist, was erwarten sie denn von nem guten film? schmusetheater? der soll schließlich die bittere realität zeigen und ist auch nicht für kinder bestimmt. und mickey rourke is großartig, gerade weil er sich für solch ein elend zur verfügung stellt.

Ulrich Saenger · 15.03.2009

Dank der positiven Kritik habe ich diesen Film gesehen und war von der dargestellten Brutalität angewidert. Was ist dies für eine Gesellschaft, in der solche Kampfmethoden öffentlich toleriert und gefeiert werden? Dies ist für mich eine Darstellung der Verrohung, des Niedergangs und des moralischen Nihilismus. Schade, dass sich Mickey Rourke für solch ein Elend zur Verfügung stellt.

Wolfgang Breuer · 14.03.2009

"A no go" definitely...
Angeregt durch überdurchschnittlich gute Kritik animierte ich meine Frau und eine Freundin, diesen Film anzusehen. Es war widerlich, rausgeschmissenes Geld für die Filmherstellung und für die Kinokarte. Vermißt habe ich den Tiefgang, da hätte man mehr draus machen können. Unnötig brutale Szenen dieses sowieso äußerst seltsamen Sports können dafür kein Ersatz sein. Es sei denn, man is auf der sadomaso-Schiene.

Gerd · 04.03.2009

ein großartiger film. aronofsky ist schlicht ein genialer regisseur