Snow

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Niemandsland

„Der Schnee fällt nicht, um den Hügel zu bedecken, er fällt, damit jedes Tier eine Spur seines Vorübergehens hinterlassen kann.“
Bosnien im Jahre 1997: Zwei Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton sind auch in dem kleinen Bergdorf Slavno die Auswirkungen des Krieges noch deutlich und unmittelbar zu spüren: Sechs Frauen leben hier, ein alter Imam und sein behinderter Enkel sowie weitere Kinder – und kein einziger erwachsener Mann. Die Ehemänner der Frauen und Väter der Kinder sind verschwunden, ihr Schicksal auch zwei Jahre nach Beendigung des Konfliktes ungewiss. Sind sie tot, haben sie sich abgesetzt, wo sind sie geblieben? Die verschwundenen Männer leben lediglich fort in Erinnerungen, in beinahe spielerischen Momenten, in denen die Frauen ihre verschwundenen Männer imitieren und damit ihre Kinder zum Lachen bringen. Szenen, die einem das Herz brechen und den Atem stocken lassen.

Ansonsten beherrscht der Kampf ums nackte Überleben den Alltag der Dorfbevölkerung. Mühsam halten sich die Frauen mit dem Verkauf von eingemachtem Kompott über Wasser, das wenige Geld reicht gerade für das Nötigste. An einem Wiederaufbau des sichtlich beschädigten Dorfes ist nicht zu denken. Und so klammern sich die Frauen an jeden sich bietenden Strohhalm und träumen davon, mit Hilfe eines Lastwagenfahrers das eingemachte Obst und Gemüse im großen Stil zu verkaufen und damit ein dauerhaftes Auskommen zu finden – vielleicht nur ein Traum, eine Illusion, mehr nicht. Sehr viel konkreter ist da schon das Angebot, das zwei windige serbische Geschäftsleute ihnen machen: Sie wollen das Dorf kaufen, um auf dem Gebiet mit Hilfe westlicher Investoren eine Ferienanlage zu errichten. Doch können die Frauen wirklich ihre Heimat aufgeben? Innerhalb der traumatisierten Gemeinschaft kommt es zu einem schmerzvollen Ringen um die Schatten der Vergangenheit und um die Zukunft. Und dann kommt der erste Schnee, der einen langen und harten Winter ankündigt, in dem aus Ängsten und Befürchtungen Gewissheiten werden.

Mit ihrem Debütlangfilm Snow gelingt der 1976 in Sarajevo geborenen Aida Begic auf eindrucksvolle Weise, das ganze Drama des Balkankrieges in Bilder zu fassen und den Verlust spürbar zu machen, ohne dass dazu die Kriegshandlungen selbst gezeigt werden müssen. Humor und tiefe Trauer, der triste und entbehrungsreiche Alltag und beinahe magische Elemente formen eine ganz eigene, sehr authentisch wirkende Stimmung, die bewegt und berührt. Nach No Man’s Land von Danis Tanović (2001) und Jasmila Zbanics Grbavica — Esmas Geheimnis (2006) ist dies ein weiterer Spielfilm, der die Folgen des Krieges in Bosnien beleuchtet. Und er steht seinen beiden Vorläufern in nichts nach. Ein sehr ruhiger, aber umso eindringlicherer Film über die Folgen eines beinahe vergessenen Krieges.

Beim Filmfestival von Cannes 2008 wurde der Film mit dem Grand Prix der „Semaine de la Critique“ ausgezeichnet. Außerdem war der Film in der Generation-Reihe der 59. Berlinale zu sehen.

Snow

Bosnien im Jahre 1997: Zwei Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton sind auch in dem kleinen Bergdorf Slavno die Auswirkungen des Krieges noch deutlich und unmittelbar zu spüren: Sechs Frauen leben hier, ein alter Imam und sein behinderter Enkel sowie weitere Kinder – und kein einziger erwachsener Mann. Die Ehemänner der Frauen und Väter der Kinder sind verschwunden, ihr Schicksal auch zwei Jahre nach Beendigung des Konfliktes ungewiss.
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