Memelland

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der bedächtige Fluss der Dinge

Es ist diese Landschaft, die Volker Koepp immer wieder in ihren Bann zieht. Die Gebiete der ehemaligen Weltmacht Preußen üben auf den 1944 in Stettin geborenen Filmemacher bereits seit langem eine nahezu magnetische Wirkung aus. Seine Leidenschaft insbesondere für die ostelbischen Gebiete begann 1973 mit dem Kurzfilm Grüße aus Sarmatien, in dem Koepp dem Dichter Johannes Bobrowski ein Denkmal setzte. Es folgten Filme wie Kalte Heimat (1995), Die Gilge (1997), Kurische Nehrung/Ostpreußen (2001), Schattenland – Reise nach Masuren und Pommerland (2005) und Holunderblüte (2007). Mit Memelland kehrt Koepp nun abermals zurück in die Landschaften und setzt der Region nördlich der Memel und ihren Bewohnern ein ebenso leises wie eindringliches Denkmal.
Koepp ist kein Mann der Historie, in seinem Kommentar gibt er allenfalls gerade mal die nötigsten Rahmendaten der verworrenen und wechselhaften Geschichte des Landes preis. Viel lieber lässt er seine Bilder für sich sprechen, die ein ruhiges Land fernab der großen Städte zeigen. Immer wieder zeigt er den unendlich weiten Himmel, die verwunschenen Alleen mit den windschiefen Bäumen, die träge dahin fließende Memel. Mit großer Bedächtigkeit gefilmt, wirken die Bilder und die Töne wie eine Zeitmaschine. Irgendwie scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein – und zwar in einem durchaus positiven Sinne.

Volker Koepp ist der vielleicht poetischste unter den deutschen Dokumentaristen. Seine Filme gleichen den Spaziergängen eines neugierigen Menschen mit dem Blick für die kleinen Details, eines Dichters oder Malers, der Stimmungen aus dem Einklang von Mensch, Tier und Natur komponiert. Die Zusammenarbeit mit dem Kameramann Thomas Plenert währt bereits seit etlichen Jahren. Und genau dieses Vertrauen und blinde Verständnis merkt man dem Film auch an. Vielleicht reden ja gerade deshalb die Menschen in Koepps Filmen recht wenig – weil die Bilder und die Atmosphäre genauso beredt sein können. Und weil die Stille manchmal mindestens ebenso viel erzählt wie endloses Reden.

Trotzdem berühren die Begegnungen mit den Menschen. Oftmals ahnt man hinter ihren freundlichen Auskünften und Erzählungen, dass sich dahinter manches schwere Schicksal und mühsame Leben verbergen. Wie beispielsweise bei den drei Schwestern Edith, Erna und Berta, die zu den wenigen Deutschen gehören dürften, die das Memelland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht verlassen haben. Wobei das vor allem einem Missgeschick geschuldet war: In den Wirren des Kriegsendes waren die Papiere der Familie, die deren Herkunft belegten, verloren gegangen. Wobei ihre Herkunft für sie keine wesentliche Rolle mehr spielt, viel wichtiger ist ihnen ihre Heimat. Und die ist nun mal dort, wo die Toten begraben sind, seit vielen Generationen. Nebenbei arbeiten die alten Damen nach wie vor von frühmorgens bis abends auf dem kleinen Bauernhof, um ihre kärglichen Pensionen aufzubessern.

Überhaupt sind die meisten jungen Menschen weggezogen, in die großen Städte. Doch es gibt auch (seltene) Fälle, in denen junge Litauer den Reiz des Memellandes neu für sich entdecken. Wie etwa der erfolgreiche Werber Ceslovas aus Vilnius, der hier ein Hotel an den Ufern der Memel gebaut hat und davon träumt, sich einmal ganz hierher zurückzuziehen. Hier, so scheint es, ist er ganz bei sich angekommen. Wenn man sich diesen Film von Volker Koepp mit seinen wunderschönen Naturaufnahmen und seinen sympathischen Gesprächspartnern ansieht, dann beginnt man zu ahnen, was Ceslova hier findet und wonach er sich sehnt. Und warum Edith, Erna und Berta doch hier geblieben sind im Memelland.

Memelland

Es ist diese Landschaft, die Volker Koepp immer wieder in ihren Bann zieht. Die Gebiete der ehemaligen Weltmacht Preußen üben auf den 1944 in Stettin geborenen Filmemacher bereits seit langem eine nahezu magnetische Wirkung aus. Seine Leidenschaft insbesondere für die ostelbischen Gebiete begann 1973 mit dem Kurzfilm Grüße aus Sarmatien, in dem Koepp dem Dichter Johannes Bobrowski ein Denkmal setzte.
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