October Country

Die Geister der Familie Mosher

Kein Tag eignet sich besser als Metapher für die dunklen Seiten des amerikanischen Traums als Halloween, jene Nacht zwischen dem 31. Oktober und dem 1. November, in der die Geister der Vergangenheit zu neuem Leben erwachen und durch die Kleinstädte des wackeren, ländlichen Amerika spuken. Die Geister, denen Michael Palmieris und Donal Moshers Dokumentarfilm October Country hinterher spüren, sind freilich keine fiktiven Geschöpfe aus Tand und billigem Glitter, in denen Kleinstadt-Kids und -Teenies um Süßes betteln, sondern reale Schreckensbilder einer desolaten „White Trash“- Familie. Die Moshers, von denen dieser traurig-schöne, zärtlich-brutale Film erzählt, sie sind die Familie des Fotografen und Co-Regisseurs Donal Mosher.
Wann es genau begonnen hat, kann rückblickend keiner mehr sagen. Obwohl es den Anschein hat, als wäre der Vietnam-Krieg zumindest teilweise daran schuld. In den zog Don, das Familienoberhaupt der Moshers mit 18 Jahren und kam als ein veränderter Mensch zurück. Still sei er gewesen, berichtet seine Frau, in sich gekehrt, nur noch ein Geist des jungen Mannes, den sie vor dem Kriegseinsatz kennen und lieben gelernt habe. Es gibt noch weitere Faktoren, die zum schleichenden Niedergang dieser Familie geführt haben dürften. Im Mohawk County im Staate New York, einem Landstrich, der beinahe vollständig von einem einzigen Arbeitgeber, dem Waffenhersteller Remington, abhängig ist, geht es seit Jahren bergab.

Diese Abwärtsspirale setzt sich auch in die Familien hinein fort. Die Moshers befinden sich mittendrin in dem Wahnsinn aus Teenager-Schwangerschaften, Alkohol, Schulden, Arbeitslosigkeit und beginnender Verwahrlosung. Ein Jahr lang, von Halloween zu Halloween haben Michael Palmieri und Donal Mosher die Familie begleitet und ein Sittenbild der erodierenden amerikanischen Arbeiterschaft gezeichnet, wie es alarmierender nicht sein könnte. Noch wehen im Vorgarten stolz die amerikanischen Fahnen, doch in Wirklichkeit glaubt hinter den Fassaden längst niemand mehr an den amerikanischen Traum. October Country ist ein ernüchternder Film über gescheiterte Lebenspläne und über die Fluchten aus der grauen Realität. Und erst ganz zum Schluss gibt es ein klein wenig Hoffnung, dass es den Moshers vielleicht doch gelingen könnte, sich dem Strudel zu entwinden.

So ideal die Voraussetzungen zur Erforschung des familiären Kreislaufs dank Donal Moshers direktem Zugang auch sind, am Ende dieser filmischen Familienaufstellung und Geisterbeschwörung bleiben viele Fragen offen. Was nicht nur an dem schnellen, manchmal undeutlichen genuschelten und dialektal stark eingefärbten Sprachduktus der Moshers liegt, sondern auch daran, dass der Film beispielsweise Donals Rolle innerhalb des desolaten Clans nicht thematisiert. Wenn Desi an einer Stelle des Films den Wunsch äußert, sie hoffe die erste der Familie zu sein, die aus dem destruktiven Kreislauf von Gewalt, Arbeitslosigkeit und Verzweiflung ausbricht, fragt man sich unwillkürlich, ob nicht bereits Donal dieser Ausstieg gelungen ist.

Sicher mag es eine bewusste Entscheidung der beiden Filmemacher gewesen sein, Donal aus diesem für ihn extrem schmerzhaften Film als Objekt der Betrachtung herauszuhalten. Vor diesem Hintergrund klingen Aussagen wie die von Desi aber falsch und verzerren das Bild einer Familie, die gerade erst damit beginnt, sich ihren Geistern zu stellen. Ob sie damit erfolgreich sein werden, steht noch in den Sternen. Wie Donal allerdings bekennt, sind nun – ausgelöst durch den Film – die ersten Schritte gemacht.

October Country ist wie ein Song von Vic Chesnutt – traurig, gebrochen, kaputt und irgendwo doch ergreifend.

(Joachim Kurz)

Der Film war auf dem DOK Leipzig-Festival 2009 zu sehen und wird beim Wiesbadener Festival exground on screen 2009 zu sehen sein. Ob er darüber hinaus einen deutschen Kinostart erleben wird, ist bislang noch offen.

October Country

Kein Tag eignet sich besser als Metapher für die dunklen Seiten des amerikanischen Traums als Halloween, jene Nacht zwischen dem 31. Oktober und dem 1. November, in der die Geister der Vergangenheit zu neuem Leben erwachen und durch die Kleinstädte des wackeren, ländlichen Amerika spuken.
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