Verdammnis

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

Parforce-Ritt eines Racheengels

Es wirkt etwas bemüht, wenn man sich des schrägen Begriffs „Phänomen“ bedient, nur um etwas zu beschreiben, das gar nicht so richtig zu beschreiben ist. Stieg Larssons Millenium-Trilogie ist so ein Beispiel jener interpretatorischen Beschreibungsnot: schlicht ein Phänomen. Angefangen mit dem Erstling Verblendung, dem Nachfolger Verdammnis bis hin zum epochalen Abschlussteil Vergebung hat die Thriller-Reihe eine Begeisterungswelle ausgelöst, die vermutlich selbst den 2004 verstorbenen schwedischen Roman-Autor verwundert hätte. Die dreiteiligen Buchvorlagen gehen bis heute tausendfach über die Ladentheken, notorisch auf den Bestsellerlisten verharrend; auch die erste Verfilmung des Thriller-Projekts war ein außergewöhnlicher Kassenknüller; und jetzt, angesichts der Verfilmung des zweiten Teils der Trilogie, hat das mediale Brimborium eine Dimension erreicht, die jeden Hollywood-Produzenten vor Neid erblassen ließe. Deshalb darf es nicht verwundern, dass sich die Rechteinhaber dafür entschieden haben, auch die Fortsetzung, die den Titel Verdammnis trägt, nicht, wie ursprünglich geplant, im ZDF sondern im Kino zu zeigen.
Das Ergebnis wird man wohl mit zweierlei Maß messen müssen: Wer den Erstlingsroman kennt, der in die Geschicke des engagierten schwedischen Journalisten Michael Blomkvist (Michael Nyqvist) einführt, hat schon mal den wertvollen Vorteil, sich reibungslos in die Geschichte einfinden zu können: Blomkvist bekommt von einem jungen Journalisten eine heikle Story angeboten, die für hohe Würdenträger reputationsbedingt eine große Bedrohung darstellt. Denn der investigative Reporter hat Materialien gesammelt, die beweisen, dass sich prominente Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft zu einem Netzwerk zusammengeschlossen haben, dessen Aufgabe es ist, russische Frauen ins Land zu schleusen, um sie der Prostitution auszuliefern. Blomkvist will die Geschichte in seinem Heft drucken, doch das Vorhaben geht schief: Bevor Details veröffentlicht werden können, wird der junge Journalist ermordet. Die Materialien verschwinden. Polizei und Medien verdächtigen Lisbeth Salander (Noomi Rapace), eine alte Freundin von Blomkvist, Computer-Spezialistin und gut betuchte Rotzgöre Anfang 30, hinter den Morden zu stecken: ihre Fingerabdrücke kleben an der Mordwaffe. Doch anstatt die Vorwürfe auszuräumen, taucht sie unter und leitet auf eigene Faust riskante Recherchen ein, bei der sie Unterstützung vom Journalisten Blomkvist bekommt, der von ihrer Unschuld überzeugt ist. Die Verwicklungen werden unüberschaubar, hochpolitisch und reichen bis zum russischen KGB, mit dem Lisbeth Salander in einer verzwickten, bis in die Kindheit reichenden Beziehung steht.

Aus den Augen eines Fremdlings, der weder Erstlingsverfilmung noch die Romane kennt, vermag der Film zu irritieren: Es fehlt beim abrupten Einstieg der emotionale Draht zwischen Zuschauer und Protagonisten, der die anfängliche Orientierungslosigkeit substituieren könnte. Lisbeth Salander wirkt im ersten Abschnitt überzeichnet, teils unangenehm-arrogant und in vielen waghalsigen Schritten, die sie als Racheengel zugunsten der entrechteten jungen Mädchen wählt, unmotiviert und konturlos. Erst im Laufe der insgesamt zwei-stündigen Aufklärungsjagd beginnt man die Hintergründe zu erahnen, die den verwobenen Beziehungsstrukturen zugrunde liegen – wobei man diesen Mangel relativieren kann, indem man davon ausgeht, dass Regisseur Daniel Alfredson vor allem an Eingeweihte gedacht hat, als er den Stoff verfilmte – an jene, die den ersten Teil der Verfilmung, wenn nicht sogar alle Teile der Roman-Trilogie kennen. Aber auch Neulinge der Larsson‘schen-Thriller-Welt können durchaus, nach einem verwickelten Anfang, von der sich zuspitzenden Handlung gepackt werden.

Gar keine Frage: Dieser Thriller ist mit vielen wirkungsvollen Elementen ausgestattet, die einen guten Kriminalfilm ausmachen: Spannung, schnell inszenierte Bilder, robuste Charaktere und ein frenetisches, allerdings leicht überzeichnetes Ende, das sich allzu blutrünstig auflöst. Andererseits wäre jeder andere Ausgang eine contradictio in adiecto: Der Zuschauer erwartet schließlich die alt bewährten Schritte eines kriminologischen Puzzlespiels, das erst mit einem chaotischen Haufen von Indizien und Einzelteilen beginnt, um sich dank der Intervention des Journalisten Blomkvist und Lisbeth Salanders mutigem Parforce-Ritt durch die Höllenschluchten des verbrecherischen Untergrunds in ein strukturiertes Gesamtbild zu verwandeln. Doch wenn man sich am Ende ehrlich auf die Brust schlägt, stellt man fest: ein guter Tatort hätte es auch getan.

Verdammnis

Es wirkt etwas bemüht, wenn man sich des schrägen Begriffs „Phänomen“ bedient, nur um etwas zu beschreiben, das gar nicht so richtig zu beschreiben ist. Stieg Larssons Millenium-Trilogie ist so ein Beispiel jener interpretatorischen Beschreibungsnot: schlicht ein Phänomen.
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