Ondine - Das Mädchen aus dem Meer

Eine Filmkritik von Lida Bach

Der Fischer und seine Frau

„Willst du, dass wir an Märchen glauben?“, fragt ein Küstenaufseher Syracus, als er die ungewöhnliche Fracht auf dessen Kutter erblickt. Ja, lautet die schlichte Antwort des Fischers und seine Worte gelten auch dem Zuschauer. In poetischen Bildern erzählt Jordan in Ondine — Das Mädchen aus dem Meer die märchenhafte Liebesgeschichte, die Syracus und „das Mädchen aus dem Meer“ erleben. Die Legenden von Selkies und Seehund-Mädchen, die ihr Fell vergraben müssen, um an Land unter Menschen leben zu dürfen, verknüpft der irische Regisseur mit dem aus Kunstmärchen vertrauten Motiv der Wasserfrau, die sich einen einsamen Menschen erlöst – vielleicht zum Preis des eigenen Glücks.
Einsam ist Syracus (Colin Farrell), dessen Name auf die griechische Fischerinsel verweist. Meist glücklos befährt der ehemalige Alkoholiker, dessen schwerkranke Tochter Annie ( Alison Barry) bei seiner trinkenden Ex-Frau Maura (Dervla Kirwan) und deren brutalen Freund (Tony Curran) aufwächst, in seinem Kutter die See rund um die kleine irische Insel. „Circus, the Clown“ rufen Syracus die Einwohnern in spöttischer Erinnerung an seine einstigen Alkoholeskapaden. Doch im Märchen ist dem Narren das Glück hold. Und eines dieser Märchen ist „Ondine“. So nennt sich die schöne Unbekannte, die Syracus eines Tages aus dem Meer fischt. Ondine überredet ihn, sie bei sich zu verstecken. Ihr betörender Gesang in unbekannter Sprache füllt die Netze von Syracus mit reichem Fang und sein Herz mit Liebe. Ist Ondine eine „Selkie“, wie sie Annie in Kinderbüchern betrachtet? In den erdigen Farben Arthur Rakhams zeichnet Jordan die raue Schönheit der Insel und ihrer Bewohner. Der harsche Alltag nährt ihre Sehnsucht nach Wundern. So selbstverständlich wie Annie nimmt schließlich Syracus die Wahrheit der Überlieferung an, die womöglich nur seine eigene Wahrheit ist. Doch keine Wasserfrau kann ihre Herkunft so leicht hinter sich lassen – auch nicht Ondine.

Schon einmal inspirierte die Märchenwelt Neil Jordan zu einem berauschenden Fantasyfilm. Seine tiefenpsychologische Interpretation des Rotkäppchen-Stoffs The Company of Wolves (1984, der deutsche Titel war Die Zeit der Wölfe) zählt bis heute zu seinen komplexesten Werken. Anders als die Grimmsche Schauergeschichte schöpft Ondine nicht aus dem Volksgut von Hausmärchen, sondern aus Sagen und der Mythologie. Das Mädchen aus dem Meer ist eine späte Wiedergängerin der weiblichen Elementargeister, der Nixen und Rusalki. Die bekannteste der Wasserfrauen ist Ondines Namensschwester Undine. Wie sie erhält Ondine auf dem Land einen neuen Namen, wie sie lässt sie ihr Element und Volk zurück, um mit ihrem Liebsten zu sein. Doch so sentimental ist Jordan nicht, dass er seine romantische Filmfantasie ohne Brüche erzählen würde. Ondine — Das Mädchen aus dem Meer erinnert daran, dass auch Erwachsene einen Rest Glauben an Märchen brauchen, wenn sie nicht verbittern wollen wie Syracus. Der Zauber Ondines liegt in den Gefühlen, welche sie in weckt und die nicht zufällig nautische Glückssymbole sind: Glaube, Liebe, Hoffnung. Ersterer ist keine Bigotterie, sondern vor allem der elementare Glaube an das Gute im Menschen, wie ihn der vom großartigen Stephen Rea gespielte Priester verkörpert.

Getreu der Sage wird der Menschenmann dem Wasserwesen untreu, statt mit einer Frau mit Alkohol. Das Meer schäumt und bringt Gefahr in Gestalt der dämonischen Gefährten Ondines. „Manchmal finden sie unerwartetes Glück mit einem Menschen“, erzählt Annie über die Selkies. Tatsächlich tun sie es nur selten. Die düstere Facette der Sagen verschweigt Jordan in seinem melancholisch-süßen Liebesmärchen: „Vielleicht, weil die Wirklichkeit zu hart ist.“ Die Romantisierung der Legenden verringert deren Vielschichtigkeit. Hart ist auch die Realität der Märchen. Melusine muss Mann und Kinder verlassen, Undine zieht Hans in eine nasses Grab, den Fischer und seine Frau verhöhnt das Glück, damit sie seinen Mangel umso schmerzlicher spüren. So schön Jordans Filmmärchen anzusehen ist, so unendlich weit ist es von den wahren Märchen entfernt.

Ondine - Das Mädchen aus dem Meer

„Willst du, dass wir an Märchen glauben?“, fragt ein Küstenaufseher Syracus, als er die ungewöhnliche Fracht auf dessen Kutter erblickt. Ja, lautet die schlichte Antwort des Fischers und seine Worte gelten auch dem Zuschauer. In poetischen Bildern erzählt Jordan in „Ondine“ die märchenhafte Liebesgeschichte, die Syracus und „das Mädchen aus dem Meer“ erleben.
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