Borderline – Kikis Story

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Dienstag, 16. März 2010, 3sat, 22:55 Uhr

Ein Film, der die als Borderline-Syndrom bezeichnete Persönlichkeitsstörung thematisiert, lässt zunächst einmal eine gewaltige Schwere vermuten. Doch das Spielfilmdebüt Borderline – Kikis Story der kanadischen Fotografin und Filmemacherin Lyne Charlebois besticht zuvorderst durch seine erstaunliche Leichtigkeit. Basierend auf dem Roman Borderline von Marie-Sissi Labrèche, die gemeinsam mit der Regisseurin das Drehbuch verfasste, stehen hier nicht die psychischen Schwierigkeiten, sondern die gesamte schillernde Persönlichkeit der Heldin im Vordergrund, die sich ein kostbares Stück weit von den gravierenden Belastungen ihrer Lebensgeschichte zu emanzipieren beginnt.
Sie ist gerade dreißig Jahre alt, der Roman, an dem sie schreibt, verweigert die Zusammenarbeit, ihr verheirateter Liebhaber, der Literaturprofessor Tchéky (Jean-Hugues Anglade) bietet ihr kaum Halt und die Schatten ihrer unwegsamen Vergangenheit drängen sich in ihr Bewusstsein: Kiki (Isabelle Blais, als Kind: Laurence Carbonneau) steckt kräftig in der Krise. So lässt sie die schrecklichen, traumatisierenden Erlebnisse ihres Daseins, aber auch die starken Momente der Zärtlichkeit und Lust Revue passieren, und es offenbart sich ein bewegtes, exzessives Leben zwischen tiefer Verzweiflung und wilden Höhenflügen, und Kiki beschließt, den Bannkreis ihrer Desolationen endlich zu durchbrechen.

So eindrucksvoll die durch die Krankheit ihrer Mutter (Sylvie Drapeau) schwer belastete Kindheit und andere Bedrückungen der heranwachsenden und erwachsenen Kiki auch dargestellt werden, so ist es dennoch eine wunderbare Qualität dieses Films, dass diese vielschichtige Figur nicht auf eine pathologische Person reduziert wird. Sehr freizügig in Wort und Bild werden die exaltierten Ausschweifungen und Ekstasen der jungen Frau nachgezeichnet, die sie zwar als Grenzgängerin ausweisen, jedoch auch als lebhafte, ungewöhnliche und eigensinnige Persönlichkeit, die ihren Weg am Widerstand entlang sucht und sich nicht scheut, den vorherrschenden Moralvorstellungen zu trotzen.

Borderline – Kikis Story lebt zuvorderst von der hinreißenden Verkörperung Kikis durch Isabelle Blais, der ein ebenfalls wunderbar agierender Jean-Hugues Anglade zur Seite gestellt ist, der seit seiner unvergesslichen Darstellung des tragischen Geliebten der melancholischen Beatrice Dalle in 37°2 le matin / Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen (1986) nichts von seinem verführerischen Charme eingebüßt hat. Borderline – Kikis Story erhielt neben dem kanadischen Genie Award für das Beste Drehbuch von Lyne Charlebois und Marie-Sissi Labrèche, einer Auszeichnung für den Besten kanadischen Debütfilm beim Toronto International Film Festival sowie dem FIPRESCI-Preis und dem Preis der Ökumenischen Jury plus zwei lobenden Erwähnungen beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg weitere Auszeichnungen, die die Faszination widerspiegeln, die von dieser so geschickt wie ambivalent inszenierten Geschichte ausgeht.

Borderline – Kikis Story

Ein Film, der die als Borderline-Syndrom bezeichnete Persönlichkeitsstörung thematisiert, lässt zunächst einmal eine gewaltige Schwere vermuten. Doch das Spielfilmdebüt „Borderline – Kikis Story“ der kanadischen Fotografin und Filmemacherin Lyne Charlebois besticht zuvorderst durch seine erstaunliche Leichtigkeit.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

peti · 03.02.2013

mich lässt dieser Film nicht los, dazu viel mir heute dies ein;

In mir selbst

Erneut fühle ich mich verloren,
in mir selbst,
in der Grenzenlosigkeit
verwischt das Innen und Außen,
zu einer Masse,
ohne Begrenzung,
was bin ich dann?
Gehöre ich noch zu mir
oder gehöre ich längst den Raum,
indem ich mich befinde?
Wo bin ich?
Wenn alles zerfließt,
wenn nicht einmal das Nichts da ist.

peti · 02.02.2013

ich muss noch etwas nachtragen; der Film zeigt natürlich auch viel Poesie und die Kritik, scheint nicht angemessen, wohl eher falsch verstanden. Er zeigt zwar viel Sex, aber auf der Suche nach Liebe, die Kiki nicht kennt und so irrt sie durchs Leben und ist auf der Suche. Die Männer zeigen eher einen Clownsfigur, die nichts verstehen und nichts fühlen, außer ihrer Geilheit. Toller Film; "Du weißt doch, ich mag Clowns."

peti · 02.02.2013

Leichtigkeit kann ich wahrlich nicht erkennen, sondern tiefe Verzweiflung und ungeweinte Traurigkeit, selbst betroffene

blais-fan · 14.10.2012

Der Titel und die Darstellung sind echt voll daneben...
Aber die Blaise ist der Hammer ;-)

CarIn · 22.02.2011

Dieser Film ist echt der Hammer - in jeder erdenklichen negativen Hinsicht!
Ich leide selber an dieser Krankheit und bei solchen Veröffentlichungen wird mir immer wieder bewusst, warum so wenige Leute offen mit ihrer Krankheit umgehen!
Borderline hat so unglaublich viele Facetten und dieser Film konzentriert sich lediglich auf die, in der Gesellschaftlich, am wenigsten zu akzeptierenden...

Ich finde das traurig und schließe mich MähMäh an: wer einen schlechten Soft-P**no mit viel Trara sehen will, bitte.
Aber ein Film über eine Persönlichkeitsstörung ist das wahrlich nicht!!

MähMäh · 22.08.2010

Dieser Film soll eine weibliche Person, die an der Borderline Persönlichkeitsstörung leidet, darstellen?? Das ist wirklich ein Witz. Die hervorstechenden Merkmale der Promiskuität, des Ödipuskomplexes, der "schrecklichen Kindheit“ dieses Mädchens sind aber nun wirklich lachhaft schlechte Versuche das (Gefühls)leben eines "Borderliners" darzustellen. Dieser Film trägt vielleicht schöne Schauspieler und gute (kanadische) Preise, aber er hat nichts mit der realen Leidensgeschichte eines Borderline-Patienten gemeinsam. Diesen Film empfehle ich niemanden, der einen Film über diese Persönlichkeitsstörung erwartet.

Rumpelwald · 17.03.2010

Eine Fotografin also zeichnete für den Film verantwortlich, ... das wusste ich nicht. Jetzt verstehe ich die optische Verzauberung, die die Spielerische nur unterstreicht.
Mehr solcher Filme und das Fernsehen wäre gerettet...